29. Dezember 2011

Kleine Abschiede

Einem neunjährigen Mädchen und ein fünfjährigen Jungen werde ich diesen Schatz aus Plastik, Pseudostrass und lackiertem Metall morgen darreichen. Gestern beim Aussortieren etwas Wehmut im Angesicht der vielen temps perdu, ihrer in Neonfarben materialisierten Reliquien. Und ich erinnere mich, wie ich damals, vor über einer halben Dekade, mit jenen kolossalen Metallsternen in den Ohrläppchen immer donnerstags in den Sage Club radelte, während diese die Ohren im Gegenwind zum Flattern brachten. Vorher hatte ich Psalmi et orationes gelesen - ich habe viel Petrarca gelesen seinerzeit, auch Dante, Montaigne und Erasmus von Rotterdam und kam für gewöhnlich zu spät zu jeglichen Verabredungen, weil ich zuhause immer noch lange Zeit herumtrödelte, Musik hörte oder las. Daher galt die stillschweigende Abmachung, Freunde direkt auf der Tanzfläche zu treffen, damit sie sich schon mal warm machten. Später dann, draußen dämmerte schon der graue Morgen herauf, kam ich auf dem Dragon Floor bei Industrial und Hardcore richtg in Fahrt und manchmal blieb in meiner Entfesselung ein armer, unbeteiligter, in sich selbst versunkener Tänzer an riesigen Sternen, Kugeln, Creolen hängen oder wurde unsanft daran aufgespießt. Einmal, in der Erinnerung inzwischen umdunkelt, war die Tanzfläche derart überfüllt und ich, wegen irgendeiner Kleinigkeit verärgert, daher innerlich auf 180 und bereit zu allem, verlor bei Take a look around (musikalisch leichteste Crossover-Kost) irgendwie die Fassung und schlug einem hinter mir Tanzendem eine blutige Nase, ein anderer riss mir kräftig am Ohrläppchenschmuck und verpasste mir fast ein Schlitzohr. Seit diesem Ereignis trage ich im Übrigen keine überdimensionale Ohrringe mehr, die schwer, spitz und metallisch sind und verschenke sie inzwischen an Mädchen, die meine Töchter sein könnten. Crossover-Platten lege ich auch nur noch dann auf, wenn ein immenser Alkoholgenuss mich dazu nötigt. Die Tasche mit den Rockabella-Accessoires, dem Schmuck, den Sonnenbrillen, Buttons und Tüchern, ist mit dem Klimperkram derart schwer beladen, dass ich sie wohl kaum mit dem Fahrrad zu den Kindern transportieren werde. Jedenfalls habe ich jetzt derart viel Platz, dass ich mich jedes Mal erschrecke, wenn ich betreffendes Zimmer betrete.