27. August 2014

Tragische Heiterkeit

Nach langer Abstinenz: Neuerliche Lektüre von Nietzsches Unzeitgemäßen Betrachtungen III (Schopenhauer als Erzieher). Die erste Leseerfahrung inzwischen in unendliche Ferne gerückt, immerhin fast 10 Jahre her, kaum noch erinnerlich daher in ihren Einzelheiten. Trotz vermeintlicher Abgeklärtheit noch immer begeistert von der ihnen zugrundeliegenden Konzeption (dem metaphysischen Überbau), der in Szene gesetzten Dialektik von Heiterkeit und Schwermut. Im Subtext läuft freilich meine ganz eigene, triviale Lesart: die vermessene Applikation der philosophischen Begriffe auf das eigene Leben: Aliis laetus, sibi sapiens.

26. August 2014

Nach Art der Bärin

Cum Georgica scriberet, traditur cotidie meditatos mane plurimos versus dictare solitus ac per totum diem retractando ad paucissimos redigere, non absurde carmen se ursae more parere dicens et lambendo demum effingere.
Vitae Vergilianae, 22

Meine vergilianische Arbeitsweise: Von einem blinden Aktionismus geleitet, produziere ich in immensen Kraftanstrengungen beständig irgendwelchen Output, den ich Tags darauf verwerfe, selten auf wenige Wörter und Gedankensplitter zusammenstreiche. Auf diese Weise landete damals eine 180-seitige Magisterarbeit (inkl. diverser Anhänge) – ein drei Jahre währendes Mammutwerk auf dem Scheiterhaufen der Geschichte und binnen postnataler Mutterschutzzeit musste geschwind eine neue her, was nur in einem Zustand des schreibenden Wahns gelang; letztlich aber zu einem unverhofft glücklichen Ende führte. Lange dreh(t)e ich mich dabei im Kreis um die immer gleichen Argumente, wälz(t)e Buch um Buch, Gedanke um Gedanke, bis ich, des belastenden Gros materialisierten Nachdenkens in einer kamikazeartigen Übersprungshandlung mich entledigend, mit einem äußerst eingedampften  Kleinklein zu leben lerne.

23. August 2014

Auf der Kippe

Dieser Tage, während ein kurzer, zuletzt immer kühlerer Sommer sogleich fast unmerklich in den Herbst hinübergleitet und mir morgens, wenn ich kurz nach sieben das Haus verlasse, auf dem Weg zur Kita, auf dem Rad von Mitte nach Schöneberg oder nach Dahlem ein frischer Gegenwind als Vorbote kürzerer Tage entgegenweht, schlägt die Melancholie, meine janusköpfige Begleiterin, mit voller Breitseite zu. Vieles, denke ich so bei mir, schon längst vorüber, die rauschendsten Feste gefeiert, allzu wenig noch übrig von den einmaligen Erlebnissen, die eine (späte) Jugend so bietet. Inzwischen nämlich nahezu alle Jungfernfahrten erlebt und abgehakt: leidenschaftliche Lieben, (nächtliche) Exzesse, Tiefpunkte, Krisen, Bildungsabschlüsse, Berufstätigkeit, Familiengründung: alles bereits zum ersten Mal (meist zur Genüge) getan und gehörig Pulver dabei verschossen. Permanente Abwechslung, Haltlosigkeit, ebenso das Gefühl, stets auf dem Sprung zu sein, nun täglichen Routinen gewichen, die alles auch dann noch funktionsfähig zusammenhalten, wenn es innen drin heftig zu wanken beginnt und der alte Schlund sich öffnet.
Auch die tägliche Gewissheit eines allmählichen Verfalls des Äußeren beim spitzfindigen Blick in den Spiegel momentan eher schwer zu ertragen. Besonders beim Gedanken, den Zenit der eigenen Attraktivität – wie überhaupt: den Höhepunkt des Erlebbaren – schon überschritten zu haben und mich gefragt, was neben der passionierten Ausübung eines Berufs jenseits des 30. Lebensjahres an deren Stelle treten könnte. Der Genuss am mit den Jahren sicher größer werdenden finanziellen Spielraum in Hinblick auf den Verlust der Spontaneität und Intensität der früheren Jahre hingegen schon immer ein eher schwacher Trost. Dabei eine immer tiefer wuchernde Zornesfalte zwischen den Augenbrauen neu entdeckt und seitdem immer wieder verflucht und inbrünstig hassen gelernt, dieses Kainsmahl mimischer Ausschweifung.
Demgegenüber wird das aufkeimende Hadern mit dem Lauf der Dinge einzig durch die hinzugewonnene Solidität des eigenen Standpunkts mit ihrer Unangewiesenheit auf allerhand Vorgelebtes, an dem man sich zu orientieren hätte, durch eine wachsende Souveränität durchkreuzt, an die noch in den kürzlich verabschiedeten Zwanzigern nicht zu denken war. Im gleichen Atemzug die Fähigkeit angeeignet, die gefühlt immer schneller davonlaufende Lebenszeit – das möbiusbandartige intellektuelle Kaprizieren auf diese unabwendbaren Tatsachen davon einmal ausgenommen – schätzen zu lernen, und Nebensächlichkeiten und Animositäten angesichts der Kostbarkeit der Tage darin insgesamt weniger Stellenwert einzuräumen. Stets mutig sein und würdig altern, müsste man, plätschern die Gedanken so vor sich hin, während ich, das Gesicht dem Fahrtwind ausgesetzt, den Kragen noch etwas höher schlage, denn heute morgen liegt bereits ein erster Hauch von herannahendem Winter in der Luft.

15. August 2014

Nonum prematur in annum (ma querelle des Anciens et des Moderne)

Die Sinne zu stimulieren und zu sensibilisieren für die Erhabenheit der antiken Literatur, eine ästhetische Differenzerfahrung spürbar zu machen, auch dies Kerngeschäft des altsprachlichen Unterrichts. Und mal ehrlich, wie viele Welten liegen zwischen der geschmeidigen Eleganz eines Ciceros oder eines Vergilianischen Einbruches der Nacht – nox ruit et fuscis tellurem amplectitur alis (unsauber: Nacht stürzt herein und umfasst die Erde mit ihren dunklen Schwingen) – und den zahlreichen Belanglosigkeiten, die von der gegenwärtigen Literatur, zumal ohne Kenntnis, ohne (souveränes) Beherrschen eines Handwerkes, einer Technik, eines Stils, aufgefahren werden (besonders gruselt mich die Digital-Bohémiens-produzieren-große-Literatur-Sparte). Die in ihrer Beiläufigkeit, während sie sich nebenbei noch schnell eine Wurstbemme geschmiert hat und nun pausbäckig-schmatzend vor sich hin fabuliert, eines Gespürs für die Höhe des Gegenstandes oder seiner sprachlichen Vermittlung ermangelt. Nur am Rande zuständig fühlt sie sich für die Erbauung, gar Erhöhung, ihres Lesers (na gut: Kalauerei und Klamauk mal ausgenommen!), nicht dem minutiösen Dokumentieren, der Konfrontation mit dem Unerhörten, des Zelebrierens der Existenz noch einem wie auch immer gearteten (ästhetischen) Programm sich verpflichtet.

12. August 2014

Hebt die Gläser auf John Keating!

O Captain my Captain! our fearful trip is done; The ship has weather’d every rack, the prize we sought is won; The port is near, the bells I hear, the people all exulting, While follow eyes the steady keel, the vessel grim and daring:
But O heart! heart! heart!
O the bleeding drops of red,
Where on the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.
O Captain! my Captain! rise up and hear the bells; Rise up—for you the flag is flung—for you the bugle trills; For you bouquets and ribbon’d wreaths—for you the shores a-crowding; For you they call, the swaying mass, their eager faces turning;
Here Captain! dear father!
This arm beneath your head;
It is some dream that on the deck,
You’ve fallen cold and dead.
My Captain does not answer, his lips are pale and still; My father does not feel my arm, he has no pulse nor will; The ship is anchor’d safe and sound, its voyage closed and done; From fearful trip, the victor ship, comes in with object won;
Exult, O shores, and ring, O bells!
But I, with mournful tread,
Walk the deck my Captain lies,
Fallen cold and dead.
 
Walt Whitman

11. August 2014

Unter der Oberfläche

Neulich saßen der M., ein treuer Begleiter aus meinem ersten akademischen Leben, und ich in einer lauen Sommernacht auf seinem kleinen, aber minder feinen Balkon mit Blick auf die Yorckstraße. Das letzte Sonnenlicht über der Stadt fast verglommen, die Nacht zwischen den verwischten Hufschlägen von Phoebus' Feuerrössern beinahe eingebrochen am Horizont, sprach er, orchestriert von dem dramatischen Leuchten, so luzide und bewegend über eine unglückliche Liebe, dass mir ein Bild ganz besonders in Erinnerung blieb. Sie, jene Geliebte, hätte für ihn vor allem deswegen eine derart begehrenswerte Ausstrahlung gehabt, der er unverzüglich verfallen war und die ihn schließlich um den Verstand brachte, weil ihre gesamte Erscheinung eine Emotionalität durchscheinnen ließ, die nur unter einer hauchdünnen Oberfläche verborgen lag. Dann – und in meiner Vorstellung – unvermeidlich auf ihn übergriff, ihn in Brand setzte, auflodern und verbrennen ließ...Das fand ich auf eine ziemlich verwegene Art und angestachelt von diesem Sommernachtsrausch, der vom Berliner Asphalt in die Lüfte dampft, dann doch ziemlich romantisch.

10. August 2014

Seifenblasen über Prenzlauer Berg

Vielleicht sind wir uns – vor allem, wenn Sie Spielplätze im zentralen Osten der Stadt zwar nicht zu Ihren favorisierten, aber häufig angesteuerten Aufenthaltsorten zählen – schon einmal begegnet; Sie haben mich kritisch aus dem Augenwinkel gemustert und sich gedacht: Oha! Unter einem makellos gespannten Himmelblau springe ich, das Sommerkleid lässig oberhalb der Taille gegürtet und mit immer leicht lädierten, dafür sonnengebräunten Knien, an guten Tagen von mannshohen Gerüsten, schlage im Buddelsand ein Rad oder schaukle bis zu dem Punkt, an dem sofortiger Überschlag droht, die Region rund um den Magen aber am meisten in Wallung gerät. Wenngleich mein Kind beherzt zu den Förmchen Ihres Sprosses griff und sie mit einem resoluten "Meine, meine!" und kleinen Schubsern lange zu verteidigen wusste oder ich, wie Sie meinen, die Schaukel ewig blockierte, um dann Ihrem Goldstück mit einem großen Satz artistisch vor die Füße zu springen, schenken Sie mir vielleicht kurz bevor Sie den Vorhof zur Hölle verlassen, doch noch schnell Ihr mildestes Lächeln!? Wenn ich nämlich derweil die großen Seifenblasen aus dem Jutebeutel gezaubert habe und ich, eine fürstliche Rattenfängerin, Ihre Kinder bereits in meinen Bann gezogen habe und sie sich nun, wie an der Kasse im Supermarkt brav hintereinander aufgereiht, nacheinander an den magischen Gerätschaften erproben dürfen, ja dann, entspannen Sie einfach noch zehn, fünfzehn Minuten! Atmen Sie durch, wählen Sie ein schattiges Plätzchen unter der riesigen Kastanie dort, wo immer ein zartes Lüftchen geht, und lesen Sie endlich Ihre Süddeutsche vom Wochenende, die Monopol 07/2014 oder den Stanišić, den Sie doch nach der letzten Buchmesse so unbedingt lesen wollten, weil Dennis Scheck und Max Moor Ihnen dessen Lektüre mit rührender Inbrunst so dringlich ans Herz gelegt hatten.

9. August 2014

Transzendenz

"Und wo bleibt da in deinem Leben die Transzendenz?", hatte der Ch. mich neulich nach dem Abendessen bei ihm zu Hause scharf zurechtgewiesen, nachdem ich sein nächtliches Bekenntnis zum Göttlichen, während der S. ihm argumentativ nicht von der Seite wich, mit dem ein oder anderen flapsigen Kommentar gewürdigt hatte. Der Ch. versteht sich nämlich ausdrücklich nicht als ein Anhänger einer Konfession, hält ein Leben ohne ein übergeordnetes Prinzip aber schlichtweg für allzu trostlos.
Wie also leben ohne diese Vorstellung? Als Relativistin, Skeptikerin? Schon manches Mal nächtens wachgelegen und oft diese Angst verspürt, die an der Wurzel der Existenz rührt. Schmerzlich immer wieder konfrontiert mit dem Blick auf das unausweichliche Ende: "le repos entier est la mort". Empfänglich für letzte Fragen war ich immer, eines rettenden Gottesbeweises entbehre ich allerdings bis heute, wahrscheinlich für immer. Der Mensch – ach, Pascal! – nur ein fragiles Schilfrohr, das denkt: "L'homme n'est qu'un roseau, le plus faible de la nature; mais c'est un roseau pensant. Il ne faut pas que l'univers entier s'arme pour l'écraser: une vapeur, une goutte d'eau, suffit pour le tuer."
So bleibt einzig abgezählte Lebenszeit und ein Drittel, vielleicht auch die Hälfte davon schon rum. Meine Mutter spricht seit ein paar Jahren (ihrem fünfzigsten Geburtstag etwa) von ihrem Lebenskalender, der Tag auf Tag weniger Blätter bereithält bis schließlich irgendwann das letzte Blatt abgerissen wird und auch mein Vater, in Bezug auf den eigenen Tod immer mit einer erstaunlichen Abgeklärtheit gesegnet, gibt zu: "Wenn es soweit ist, werde ich heulen wie ein Schlosshund."
Werde ich weinen, schreien, ruhig sein?
Vorerst nichts als leere Taschen, was die Überfahrt ins gottlose Jenseits, ins Dunkel, ins Nichts betrifft, und die Gewissheit, dass alles abgefackelt werden muss im Hier und Jetzt, bevor das Licht ausgeht. Intensität, mein Elysium! Vielleicht daher der Hang zu pathetischem Wort, zu langen Nächten, Verzweiflung, Verausgabung, Exzess. Das leise Atmen der kleinen L., der ich in der Kühle der Nacht schnell noch die Decke um die Beine schlage bis ich selbst in die Kissen falle. Die, in ruhige Träume gefallen, noch nichts ahnt von Ausgeliefertsein und Sterben.

8. August 2014

Selbstbetrachtungen: Meine Gretchenfrage

In meinen mittleren Zwanzigern habe ich mich auf dem Umweg über Foucault und Derrida zeitweilig sehr intensiv mit dem philosophischen Feminismus auseinandergesetzt, habe Beauvoir, Cixous, Irigaray und Butler gelesen. Stets kreisten meine Gedanken dabei um Fragen von Identität und Differenz, um die Beschaffenheit symbolischer (mythischer) Ordnungen in Hinblick auf Geschlechtsdiskurse und -praktiken, die genuine Kulturbezogenheit und Historizität von sozialen Rollen und Körperlichkeit sowie ihre Verschleierung, Zurichtung und Naturalisierung – die Frankfurter Schule und auch Jelinek lässt grüßen – durch Politik, Wissenschaft, Massenmedien und Werbung. Abseits dieser Kopfgeburten unter akademischer Federführung gestaltete sich mein praktisches Engagement zugegeben eher mager, beschränkte sich meist nur auf das (manchmal kopfschüttelnde Verfolgen) von aktuellen Debatten in Feuilleton, Bundestag, im Rundfunk und Fernsehen; zumindest von dieser Pflicht, mich thematisch up to date zu halten, wollte ich mich dann nicht auch noch entbinden. Nie jedoch unterschrieb ich auch nur irgendeine Petition, besuchte ich Demonstrationen, die für Frauenrechte mobil machten, gesellschaftlichen Sexismus monierten oder für die Gleichstellung der Geschlechter eintraten. Auch heute findet meine Auseinandersetzung mit feministischen Themen in schmalem Radius statt, dreht sich im allerkleinsten Kreise in beflissenen und klugen Gesprächen (mit regem Büchertausch) mit der V. und der E.; vollzieht sich auch im Austausch mit vielen mir bekannten und befreundeten Herren, die sich hierin oft sehr offen und kritisch zeigen und die mit ihren Perspektiven meine Denkweisen allzu oft bereichert haben. Bis heute fühle ich mich keinem eindeutigen Lager zugehörig, bin am Ende vielleicht mehr von einem phänomenologischen Interesse an den gesellschaftlichen Zuständen geleitet und als wirklich betroffen von Unterdrückung und Diskriminierung, diese Peripherie meiner subjektiven Wahrnehmung; zumal in einer Familie von Frauen (Großmüttern, (Schwieger-)müttern, Tanten, Cousinen) situiert, die ich immer als nicht nur ökonomisch selbstbestimmt, lebensklug und pragmatisch erlebt habe, zudem von früher Kindheit an – im unreflektierten Sprech – eher am männlichen Tugendkatalog, zumindest jener im Alltagsdiskurs verwurzelten gesellschaftlichen Konstruktion dessen, geeicht: selbst wettkampforientiert, kämpferisch, aktiv erzogen, als Mutter einer Tochter vielleicht auch ähnlich erziehend?
Seit einiger Zeit aber fällt mir etwas auf an den Gesprächen, die ich besonders mit mir lang bekannten Männerfreunden führe. Schwierig die gemachten Beobachtungen auf den Punkt zu bringen: Eine Art verschmitzter Zug, der sich um Mundwinkel und Stirn des Gegenübers legt, wenn die besagten Themen angeschlagen werden. Ein amüsiertes Abwinken, sobald das Gespräch meine Erfahrungswelt berührt. Und wie aus der Pistole geschossen: die Revision der Notwendigkeit einer feministisch orientierten Lebensform in meinem Falle, wenn das begrifflich trifft. Im Hintergrund – das sagt mein neuerlich aus dem Dornröschenschlaf erwachter Seismograph – jene subtilen Schwingungen: die Vorstellung vom Feminismus als einer Art Wappenschild für eine Gruppe Bemitleidenswerter und (zurecht) Ausgegrenzter, die das nötig haben, sich mit Frauenquote, Sonderantrag und Gruppenstricken an den Qualifizierten vorbeizumogeln oder dem Patriachat für lang erlittenes Unrecht endlich mal straffrei den Stinkefinger zeigen zu können – beleidigte Leberwürste, mardy bums. Ganz und gar unnötig, nahezu widersinnig, so das Urteil, sei das, mich auf so etwas zu berufen, das vor allem Frauen gebührte, die weder auf der Skala der Klugheit, des Charmes, der Tatkraft noch auf jener der Attraktivität mithalten könnten. Weibliche Wesen, die schon immer irgendwie den Kürzeren gezogen hätten. Und mit diesen, mit Verlaub, wäre ich ja nun wirklich in keiner Beziehung zu vergleichen.

7. August 2014

Selbstbetrachtungen: Über das Durchatmen

Von meinen Mitmenschen immer wieder mit der gleichen umsorgenden Geste bedacht: Kaum steige ich etwas verschwitzt vom Fahrrad, bin ich schnellen Schrittes irgendwo angelangt, auf den letzten Metern mit der schweren Tasche voll Cicero, Vergil, dem Burkhard/Schauer und dem alten Menge vielleicht auch etwas gesprintet, falls die Zeit mir davonlief, konfrontiert mit der Bitte, doch erst einmal Platz zu nehmen und etwas durchzuatmen. Nie verstanden, dieses gezwungene Einhaltgebieten der Kräfte. In meiner Vorstellung ganz und gar unnötig, als bedurften Geist und Körper eingehender Schonung, nur weil sie ein wenig in (sowieso) gewohnter Bewegung waren. Ohne Verzögerung könnte es indes, und wenn es nach mir ginge, weitergehen. Schon immer zu lebendig für das: Hinsetzen und zur Ruhe kommen, um nach Minuten des verschnaufenden Schweigens bedächtig ein paar unbedeutende Sätze aus dem Ärmel zu schütteln. Mein Wesen, dieser überbordende Zug meines Charakters, beizeiten der Mitwelt sicher etwas grotesk anmutend, bisweilen ein strapaziöses Unterfangen für zurückhaltend oder gar gemütliche Geister, macht mir da schon immer irgendwie einen Strich durch die Rechnung. Dieses permanente Dauerfeuer an Worten, Gesten und Bewegung nicht umsonst wurde mir schon in den ersten Semestern des ersten Studiums, wie ich erst Jahre später und eher etwas zufällig erfuhr, der Beiname Maschinengewehr zu eigen, der hinter meinem Rücken kursierte, aber, wie man mir beteuerte, äußerst liebevoll mir zugedacht war —vielleicht der Grund für die Bitte: Dem Gegenüber die Möglichkeit einzuräumen, etwas durchzuatmen im Angesicht dieser wuchtbrummenhaften Dauerpräsenz. Im Bezug auf mein künftiges Studienratsdasein immerhin bedenkenswert. Gemeinschaftliche Übereinkunft der Kommilitionen im Rahmen eines erziehungswissenschaftlichen Coachings: "das könnte aus Sicht des Schülers gerade in der ersten Stunde montags oder in der achten in Latein ziemlich anstrengend werden, sein Dasein im kontinuierlichen Standby zu fristen, um jederzeit ansprechbar zu sein." Immerhin keine Befürchtungen, nicht in den hinterletzten Winkel des Raumes zu reichen, bis hierin auszustrahlen mit mentaler und leiblicher Agilität. Jetzt nur noch irgendwie lernen, dem Gegenüber mehr Verschnaufspausen zu gönnen: ganz oben auf der Agenda!