29. März 2023

A tunnel under Ocean Blvd

Welche Magazine, Feuilletons und Podcast ich in den Tagen nach der Veröffentlichung auch konsultiere, die Musikkritik deliriert sich mal wieder in Rage, salbadert selbstverliebt vor sich hin, radebrecht mit platten Deutungsansätzen (ein Eifersuchtsdrama, c'mon!) und verwechselt amateurhaft Urheberin und Kunstfigur, kunstschaffende Instanz und künstlerischen Entwurf, sodass mir nach fünf Rezensionen der Kopf raucht.

Offenbar verspürt niemand einen Hauch der Selbstreferentialität, die in den Texten angelegt ist. Niemand bemerkt den feinen Humor, die Kunst der Pose, das Spiel mit Bedeutung, die Taschenspielertricks mitgelieferter Lesarten.

Nur der F. hat mal wieder ein Ohr für das, für Lana, für mich.

Eilig schreibe ich ihm mit ungeduldigen Fingern von dem Eindruck, der sich mir schon seit Freitag aufdrängt und erst allmählich verbalisieren lässt... 

Der achte Track des furiosen Albums (zahlenmystisch genau die Mitte markierend) heißt "Kintsugi" (japanisch: 金継ぎ), was, wie eine schnelle Recherche ergibt, mit „Goldflicken“ übersetzt werden kann.

Etwas Zerbrochenes wieder zu kitten, ohne dabei den Bruch zu verschleiern, ihn im Gegenteil bewusst sichtbar zu machen und — golden! — zu affirmieren. Wow! Von dort aus ist der Schritt zu Wabi Sabi (侘寂) schnell getan: als ästhetisches Prinzip mit dem Schlüsselgedanken, Schönheit in jedem Aspekt der Unvollkommenheit zu finden. Lana ist sehr klug, vermag der auf den ersten Blick beiläufige Titel doch veritable Ansätze zur Interpretation ihres aphoristischen Ansatzes liefern. Die kompositorischen Kunstgriffe und die gloriose Stimme sind der Urushi-Lack, der die verstreuten Fragmente zusammenbindet. Wow!


Auf meiner Stirn klebt groß und gut lesbar "Viva la gaya scienza!" und "Nieder mit der Anbetung des Positivismus!"

Dem Dichter und Weisen sind alle Dinge befreundet und geweiht, alle Erlebnisse nützlich, alle Tage heilig, alle Menschen göttlich.