9. März 2023

Epistulae ex Ponto: Geistige Heimat

Was ich insgeheim betrauere, ist nicht die Entscheidung selbst. Den Weg in eine andere Richtung eingeschlagen zu sein damals. In eine weniger akademische, lebensweltlichere, pragmatische. 

Es geht mir alles recht leicht von der Hand. Ich habe Zauberkräfte, wird gesagt. Man hängt an mir und braucht mich. Ich kann begeistern. Ich bin überzeugt: Niemand merkt etwas. Ich habe eine zweite Familie gefunden. Einen Beruf, eine neue Berufung.

Nur manchmal, im Schein der Schreibtischlampe am Abend, über die Abikorrekturen gebeugt, beim Aufschlagen der Essais, wenn der SWR Reiner Niehoffs Versuche über den Schatten ausstrahlt, Melanie Möller in der NZZ wortreich über die Metamorphosen und die Heroen der Aeneis fabuliert, mir eine vor Jahren verfasste Notiz zu Batailles Begriff des Verfemten in die Hände fällt oder zu Nietzsches Fatalismen, dann sticht es kurz. Dann wiegt der Verlust der alten Heimat kurz schwer, dann erheben sich Tristia in mir.

Noch lange nach der Zweiten Staatsprüfung, längst im Beruf angekommen, täglich im Klassenzimmer, mit einigen Funktionen betraut, ein stets voller Schreibtisch daheim und fest eingespannt in das schulische Hamsterrad, war mir die Vorstellung ganz und gar unheimlich, nicht gleichzeitig, parallel zur Vollzeitexistenz, an einer Berliner Hochschule immatrikuliert zu sein. Der akademischen Welt von nun an nicht mehr zuzugehören, von meiner alma mater entbunden worden zu sein...


hic ego, finitimis quamvis circumsoner armis,

tristia, quo possum, carmine fata levo.

quod, quamvis nemo est, cuius referatur ad aures,

sic tamen absumo decipioque diem.