16. März 2012

season's opening

Des Frühlings blaues Band flattert draußen fröhlich durch die Lüfte und zieht selbst den hartnäckigsten Stubenhocker aus dem Prenzl' Berger Haushalt in die übervollen Straßencafés, in denen die Kreativarbeiter, das Macbook lässig auf dem Schoß plaziert, ihr saisonales Sonnenplatz- und Milchkaffeeabonnement angetreten haben und beschaulich über dies uns das plaudern, während dem Bourgeois nach regulärer Arbeitszeit im Büro wie immer nur ein Platz im Schatten oder auf der Wiese bleibt. Er seufzt tief und arbeitsmüde angesichts dieser Ungerechtigkeit, mit der man ihn, diesen Leistungsträger der Gesellschaft, straft: die Verdrängung durch den Bohémien, ist aber zu müde für Konfrontationen und kehrt, gegengentrifiziert und traurig über die mangelnde Anerkennung, wie schon letztes Jahr und die Jahre davor auf der heimischen Terrasse hoch über dem Zionskirch-, Helmholtz- oder Kollwitzplatz zum Espresso ein. 'Merkwürdig', grübele ich und wundere mich nicht zum ersten Mal über die plötzliche Masse an spazierenden Menschen auf den Straßen. Im Sonntag im August vernehme ich keine Berliner Stimme auf den Außenplätzen, die Touristen sind hierher zurückgekehrt, durchstreifen den Mauerpark, sitzen dicht an dicht auf ihren Vintage-Lederjacken am Weinbergshang und linsen hinter überdimensionalen Brillengläsern zwischen ihren geklonten Berliner Geschwistern in die lang ersehnte Sonne. Zum Glück ist die Jack-Wolfskin- und The-North-Face-Synthetik endlich eingemottet, jubele ich innerlich und mit tiefer Befriedigung. Mein Auge hat nun Zeit sich bis zum nächsten Winter zu erholen, gönnt sich eine Pause bevor es in vermutlich sehr naher Zukunft, von Frühlingsluft und Spreeflimmern dann ganz und gar eingelullt und milde gestimmt, schon bald wieder unförmige Pumphosen im Pyjamastil aus alten Lappen zusammengenäht, taillierte Hotpants und die schrecklichen Oversize-Hemden zu sehen bekommt. Schauerlich! Kaum ist die Ortsgrenze zu Pankow überschritten, wandelt sich der Stil von Bohème zu Bodenständigkeit. Nur die Radfahrer sind es, seit wenigen warmen Tagen in Massen ausschwärmend, die das Bild beider Bezirke - vermutlich aller Innenstadtbezirke - eint. Rennräder und Fixies soweit das Auge reicht. Darauf anämische, manchmal etwas feiste, in jedem Fall blasse, im Restalltag oft wenig sportive Hipster oder ihre modischen Mitläufer mit dünnen Beinchen in Slim Cuts auf den zierlichsten Pedalchen. Die Saison ist eröffnet!