Den ganzen Tag verfolge ich – nicht ohne innere Bewegung – im Radio und im Öffentlich-Rechtlichen die Berichterstattungen zum Tag der deutschen Einheit, ärgere mich morgens am Küchentisch, während der M. ob der Verbissenheit in meiner Stimme mal wieder die Augen verdreht, kurz über Gysi und seine dummdreisten Faseleien, von Unrechtsstaat könne ja keine Rede sein, und spüre einmal mehr, dass auch ich, so klein ich als im Jahr 83 Geborene auch war, betroffen bin von dem Sog der Ereignisse, der Kraftanstrengung, dem Mut, der Euphorie einer gegen die Verhältnisse aufbegehrenden Generation. Dass sie tief vergraben liegen in der, die ich heute bin. Überwältigend diese Bilder und Stimmen aus dem Herbst 1989 und mitten in dem unaufhörlichen Strom auch meine Eltern und ich auf dem Weg ins Ungewisse. Mitten im Nirgendwo und doch gleichsam Teil einer großen Bewegung. "Ein Moment unverhofften Glücks, der sich nicht abträgt", sagt Ines Geipel in ihrer persönlich Rückschau auf diesen wichtigsten Moment ihres Lebens; sie, die sie wie wir der DDR an der grünen Grenze den Rücken kehrte, nichts ahnend, dass der Staat, in dem sie einst lebte und dem sie sich längst entwachsen fühlte, wenige Monate später für immer Geschichte sein würde.