30. März 2012

Über Disziplin

Wenn ich all die fliehenden, freien und radikalen Kräfte, oft wegen dieser bestaunt worden, - wie zähflüssige Lava im feurigen Kessel, glühend und bis unter den Rand des Kegels gefüllt - endlich in eine Richtung lenken lernen würde; im Dreischritt: kanalisieren, bündeln, konzentrieren, dann wäre mein Leben derart um Sinn bereichert, wäre längst eine Diss geschrieben, drei Seminare geschmissen, ein Marathon absolviert, wäre endlich die Angst abgestellt, dass unkontrollierte Intensitäten, die mich vereinnahmen, mich auf ewig wegschwemmen und zurücktreiben ließen. Stattdessen könnte ich ihnen ernsthaft etwas entgegenstellen. Unter der Feinkörnigkeit des Schlicks würde ein solider Grund freigelegt, der meinen Ankern standhält. Lethargie, fehlende Inspiration oder mangelnde Struktur waren nie ein Problem gewesen, meine Endlosbaustelle: Diszplinlosigkeit bei stets aufgedrehtem Regler. Meine persönliche A 100: vielbefahren, insgesamt marode. Kaum sind die gröbsten Reparaturen an einer unbefahrbar gewordenen Spur halbherzig ausgebessert, reißt das nächste Schlagloch an anderer Stelle auf. Alles ein einziges Flickwerk, unter dem Druck von Schnelligkeit und Dringlichkeit notdürftig verarztet, in Ermangelung eines Gesamtkonzepts ewig unsaniert das Ganze.

26. März 2012

Eine Sprache finden

für all das, was die Grenze des Fassbaren überschritten hat, für dasjenige, was sich nicht sagen lässt. Eine Sprache, die die Worte von all der verlorenen Zeit sprechen lässt, die hinter uns liegt, die auf ewig vorüber ist. Eine Sprache meine ich, die das Innere transzendiert, sodass es vielleicht auch für Dich hörbar ist an Deinen verborgenen Orten, um dann etwas auszudrücken, das ich Dir schon lange nicht mehr von Gesicht zu Gesicht gesagt habe - seit dem Moment, an dem Dich Wille und Mut verlassen hat. Eine Sprache, von der ich spreche, die ich nicht greifen kann, ist es, um die ich ringe, die ich begehre. Sie, so meine Hoffnung, weil sie all dem Vergänglichen um uns herum etwas entgegenzusetzen hätte, das bleibend wäre, auch wenn wir am Ende des Tages wieder etwas mehr gestorben sind. Mehr habe ich nicht als die paar Worte, die ich zusammenklaube und die doch immer vorbeigehen müssen an der Art wie Du gelacht hast, wir wir tanzten in Berliner Sommernächten oder auf Decken lagen, unten wir und oben die Sterne. Damit erinnern wie wir die Lieder sangen, die vom Leben lieben handeln, Tequila tranken, machten Jägermeister platt, in den Mond schrien: "Verdammt, wir sind die geilste Gang der Stadt!". Einen kurzen Moment bin ich von den Songs dieser Platte derart getroffen (Ich weiß noch wie du sagtest:"Nie werd ich 27"), haben mich die Worte eines Anderen sprachlos gemacht (Mitten im offenarmigen Tanz auf brennenden Brücken/Wir waren: Auf ins Leben /doch ein Haufen Elend/Vielleicht liegt der Sieg darin einfach aufzugeben/Lass Tanzen und fliehn/Synchronisieren, funken Momente zum Takt der Musik/Stampfen im Beat, klatschen zum Lied/drängen und zieh'n/Klammern uns an süße Melancholie). Derart desorientiert, dass ich ruckartig vom Schreibtisch aufstehen muss und mich drei Minuten später, von der Sonne blind, vor meiner Haustür wiederfinde. Schwindelig: Bin immer noch da, wenigstens alles taub gemacht. 
  

16. März 2012

season's opening

Des Frühlings blaues Band flattert draußen fröhlich durch die Lüfte und zieht selbst den hartnäckigsten Stubenhocker aus dem Prenzl' Berger Haushalt in die übervollen Straßencafés, in denen die Kreativarbeiter, das Macbook lässig auf dem Schoß plaziert, ihr saisonales Sonnenplatz- und Milchkaffeeabonnement angetreten haben und beschaulich über dies uns das plaudern, während dem Bourgeois nach regulärer Arbeitszeit im Büro wie immer nur ein Platz im Schatten oder auf der Wiese bleibt. Er seufzt tief und arbeitsmüde angesichts dieser Ungerechtigkeit, mit der man ihn, diesen Leistungsträger der Gesellschaft, straft: die Verdrängung durch den Bohémien, ist aber zu müde für Konfrontationen und kehrt, gegengentrifiziert und traurig über die mangelnde Anerkennung, wie schon letztes Jahr und die Jahre davor auf der heimischen Terrasse hoch über dem Zionskirch-, Helmholtz- oder Kollwitzplatz zum Espresso ein. 'Merkwürdig', grübele ich und wundere mich nicht zum ersten Mal über die plötzliche Masse an spazierenden Menschen auf den Straßen. Im Sonntag im August vernehme ich keine Berliner Stimme auf den Außenplätzen, die Touristen sind hierher zurückgekehrt, durchstreifen den Mauerpark, sitzen dicht an dicht auf ihren Vintage-Lederjacken am Weinbergshang und linsen hinter überdimensionalen Brillengläsern zwischen ihren geklonten Berliner Geschwistern in die lang ersehnte Sonne. Zum Glück ist die Jack-Wolfskin- und The-North-Face-Synthetik endlich eingemottet, jubele ich innerlich und mit tiefer Befriedigung. Mein Auge hat nun Zeit sich bis zum nächsten Winter zu erholen, gönnt sich eine Pause bevor es in vermutlich sehr naher Zukunft, von Frühlingsluft und Spreeflimmern dann ganz und gar eingelullt und milde gestimmt, schon bald wieder unförmige Pumphosen im Pyjamastil aus alten Lappen zusammengenäht, taillierte Hotpants und die schrecklichen Oversize-Hemden zu sehen bekommt. Schauerlich! Kaum ist die Ortsgrenze zu Pankow überschritten, wandelt sich der Stil von Bohème zu Bodenständigkeit. Nur die Radfahrer sind es, seit wenigen warmen Tagen in Massen ausschwärmend, die das Bild beider Bezirke - vermutlich aller Innenstadtbezirke - eint. Rennräder und Fixies soweit das Auge reicht. Darauf anämische, manchmal etwas feiste, in jedem Fall blasse, im Restalltag oft wenig sportive Hipster oder ihre modischen Mitläufer mit dünnen Beinchen in Slim Cuts auf den zierlichsten Pedalchen. Die Saison ist eröffnet!

12. März 2012

10. März 2012

Alpenverein

Alle jene, die mich im Wasser näher kennen, wissen, dass ich sagenhaft schnell laienschwimme, also ohne professionelle Ambitionen und ohne je in einem Verein trainiert zu haben. Jedoch gilt meine ungeteilte Passion Bergen. Sehr ungünstig mit solchen Vorlieben in dieser Stadt zu wohnen mit ihrer ganzen hässlichen Schutttopographie. Der masochistische Zug ist es, an dem ich Gefallen finde, die Qual des mühsamen Aufstiegs, je steiler, länger und windiger desto besser, jene brachiale Körperlichkeit des Pulsierens und Schwitzens, das versunkene Schweigen bei der Belastung. Bei aller Scheu vor deutscher Vereinsmeierei, Schatzmeisterdünkel, Satzungsbürokratie und basisdemokratischen Stuhlkreisen und Hauptversammlungen, eine Mitgliedschaft im DAV wäre Pflicht, würde ich nur in der Nähe von Bergen wohnen. Wenn nur nicht diese komische Mundart, die ich nicht verstehe, mich so plagen würde, hätte ich bestimmt schon eine kleine Residenz in München oder Garmisch-Patenkirchen, ganz bestimmt.

9. März 2012

Die Weisheit des Silens

Aus altem Kaugummipapier forme ich mir vor dem Schreiben, wenn schon keine Götzen aus alten Klorollen, die ich um himmlische Hilfe bei den Kraftakten des Textringens anbeten kann, denen ich im Übrigen heimlich alle Schuld an meinem irdischen Schicksal zur Last lege, satyrhafte Eselsohren. Immer gedeiht alles Gedankliche in meinen Händen zur montrösen Schwergeburt. 

Es geht die alte Sage, dass König Midas lange Zeit nach dem weisen Silen , dem Begleiter des Dionysus, im Walde gejagt habe, ohne ihn zu fangen. Als er ihm endlich in die Hände gefallen ist, fragt der König, was für den Menschen das Allerbeste und Allervorzüglichste sei. Starr und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen, endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: „Elendes Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Erspriesslichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich — bald zu sterben“.(Nietzsche, GT 3)

8. März 2012

Über Hypochondrie oder die Abgründe der Selbstbeobachtung

In der Nacht von Montag zu Dienstag dieser Traum. Am Alexanderplatz (oder sonstwo) auf dem Weg von Bahnsteig zu Bahnsteig verliere ich auf der Treppe unerwartet das Gleichgewicht, überschlage mich in der Luft und falle der Länge nach mit dem Gesicht auf die untersten Stufen. Paralysiert spucke ich blutig die letzten zerschmetterten Zähne oder das, was von ihnen übrig blieb. Infolge des Sturzes initiationsartig doch ohne innere Kausalität durchzieht den apathischen Dämmerschlaf eine Variation des gleichen Themas: Ich entgleite mir, verliere die Erinnerung, werde in Gedanken ausgelöscht oder lösche mich selbst. Dann innere Erregung, fast Panik als ich imaginierte Gesichter plötzlich nicht mehr erkenne, alles jemals Gewusste mir seltsam entgleitet und dennoch jemand anwesend ist, der dies zu Protokoll gibt. Seltsamer Streich, denke ich beim Aufwachen und den ganzen Tag über begleitet mich die Angst um das Vergessen. Fünf Wikipedia-Artikel, zwei Paper in Science und ein MMSE, Uhrentest und DemTec mit höchsten anzunehmenden Ergebnissen später finde ich ohne Enge in der Brust ins Alltagsleben zurück. Der Gedanke kriecht nur dann ins umnebelte Bewusstsein zurück, wenn mir besonders entlegene Namen, Daten oder Begriffe drittklassiger oder nebensächlicher Personen, Ereignisse und aus theoretischen Auseiandersetzungen nicht blitzschnell zu Händen sind. Dann kurz aufscheinend die Angst vor dem Selbstverlust, Verlust auch des Kompasses, der stets eisern genordet war: ein untrügliches, bis an den Rand gefülltes, blitzschnelles Gedächtnis
Neben M. an der Spree stehen, während das brackige Wasser, inzwischen gänzlich enteist, diese ersten warmen Strahlen auf die blasse Haut zurückwirft, lässt hingegen beide Teile innerer Aufruhr, den protokollierend-prüfenden und den sich hartnäckig entwindenden Teil, kurzzeitig stumpf und unsichtbar werden.