27. August 2012

Frühsport

Das Thermometer kratzt haarscharf an der 20°-Marke. Der Himmel ist von einem solchem spätsommerlichen, einem frühherbstlichen Azur, auf dem weiße Wolken dahinschwimmen. Heute bin ich die Zweite in der Schlange vor dem Freibad Humboldthain. Vor mir eine Schwimmerin, die ich hier öfter treffe, immer um die gleiche Uhrzeit. Die ich wegen ihres kraftvollen Delfinschwimmens und ihres technisch saubersten Kraulens still bewundere. Als Erste - den Bikini habe ich nämlich immer schon unter der Kleidung und spare mir dadurch den Gang in die Garderobe - ziehe im Becken meine Bahnen und wirbele das vom Wind zart gekräuselte Wasser durcheinander, denke dabei kurzzeitig an Merleau-Pontys Meditationen über Hockney und schon packt mich der Flow, löse ich mich ganz in der Bewegung auf, atme tief. Der ganze Körper eine Oszillation der Bewegung, ein Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Die kinästhetische Monotonie nur zeitweilig unterbrochen von kuriosen Fragen, beispielsweise warum soviele der Bloggerinnen, deren Leben ich regelmäßig lesend verfolge, eindeutig dazu neigen, ihre Füße zu einem präferierten Motiv ihrer über soziale Netzwerke veröffentlichten Fotos zu machen (hier, hier, hier, hier und auch hier). Bei 1500m falle ich durch die Gleichmäßigkeit der Bewegung - ich schwimme immer ohne Pause, in gleichbleibender Frequenz und Lage - regelmäßig in einen derart meditativen Zustand, dass es mich nicht wundern würde, wenn die Weltenformel mir plötzlich zufiele. Gelingt es mir zu diesem Zeitpunkt hingegen über 500m Brust schwimmend mit einem schnellen Krauler mitzuhalten, der mir vor der Seitenwende verwundert Blicke herüberwirft, gerate ich in Hinblick auf den sportlichen Wettbewerb zwischen uns sogar nahezu in einen Zustand der Ekstase. 
Folgt man den Kritikern der Olympischen Spiele in ihren (jenseits von Argumenten, die die Kommerzialisierung des Sports betreffen) geltend gemachten Punkten, nimmt man die Paradigmen unserer Pädagogik (insbesondere der (Klein-)Kindpädagogik), zudem die Programmatik moderner Politik unter die Lupe, die aus Angst vor gesellschaftlicher Spaltung durch die Bekräftigung von Diversitäten lieber auf Ausgleich und Nivellierung setzt, reflektiert man darüberhinaus das in unser Gesellschaft verankerte Frauenbild, demnach Frauen zwar in pucto körperlicher Ästhetik eifrig konkurrieren dürfen, das gegenseitige Messen sich jedoch keinesfalls, das sage ich aus persönlicher Erfahrung, auf das Terrain von Wissen, Spiel, Laien- und Extremsport ausbreiten soll, ist der Wettbewerb zwischen Individuen, der auf kontinuierlicher Leistung(ssteigerung) beruht, per se des Teufels. Ich, für meinen Teil, habe unter Bedingungen des Wettbewerbs, im Messen der Kräfte, immer gute bis sehr gute Leistungen gezeigt, dabei einen starken und auch befriedigenden Antrieb entwickelt, der ohne die Hintergrundsituation des Kräftemessen nicht entstanden wäre, und konnte so das ganze Gezeter um die Anstachelung zu Feindseeligkeiten und die böse, menschenzerfleischende Konkurrenzsituation noch nie ganz nachvollziehen. Ja, und zugegeben, ich bin schon immer in eine innere Hochstimmung geraten, wenn ein Duell zu meinen Gunsten ausfiel. Ich gehöre demenstprechend auch zu den eher (sehr) schlechten Verlierern, denen Niederlagen und Unterlegensein verhasst sind. 
Als ich nach 2500m und 60 Minuten aus dem Becken steige, fühle ich mich als körperlich-geistige Einheit jedenfalls mehr als erfrischt.

26. August 2012

Wie das wohl werden wird,

überlege ich. Im nächsten Jahr und in den vielen darauf folgenden Jahren. Wie die Fragen und die Gedanken  beständig um Dich kreisen und mit dem Bäuchlein allmählich heranwachsen. Vor allem: Wie Du wohl sein wirst, wenn Du erst auf der Welt bist? Von impulsiver Wesensart, doch gleichzeitig der Melancholie so nah wie ich, oder eher tiefenentspannt und unkompliziert wie Dein Papa? Unsere innere Ausgeglichenheit steht im Bündnis mit ganz viel Neugier und dem anhaltenden Erstaunen, dass wir in absehbarer Zeit Eltern sein werden. Eine Familie. Unfassbar. Langsam bekommt auch der Bauch eine unübersehbare Gestalt, auch wenn er sich noch in außergewöhnlicher Zurückhaltung (selbst die Ärztin war im Angesicht der fortgeschrittenen Zeit verwundert) nach außen wölbt. Innerlich schließe ich indes täglich Wetten mit mir ab, ob ich die Kurve der Vermeidung scheußlicher Maxi-(Brust/Bauch/Po)-Umstandsmode, die mich nach Betreten eines einschlägigen Geschäfts neulich derart schockiert hat, dass sie, die unerträgliche Geschmacklosigkeit, mich panikartig in die Flucht schlug, doch noch kriegen werde. Noch jedenfalls bin ich optimistisch.

14. August 2012

Ein Traum von Sommer

Dieses wunderbare Wetter. Ein weiter, klarer, tiefblauer Himmel, der sich nachts wie ein sanftes Tuch über die Stadt legt. Ich schlafe wie ein Baby dieser Tage. Träume abwechselnd, ich wäre Leistungssportlerin im Olympia-Kader (am brennensten Dreispringerin oder Siebenkämpferin) oder Surferin auf Hawaii, würde in Vorderasien graben oder Renaissance-Kirchen restaurieren. Morgens fahre ich auf meinem goldenen Hercules von derlei nächtlichen Phantastereien erfrischt und trotz des Nachferienansturms radelnder Eltern-Kind-Gemeinschaften durch Mitte an die Alma Mater Berolinensis, meinen Arbeitgeber, und werde ob des mittelmäßigen Verkehrschaos beim Überqueren der Torstraße kein wenig unruhig. Dabei liegt mir das verbale Entgleisen im Straßenverkehr leider allzu nah, habe ich viel zu oft und zu schnell die Fassung verloren, mich in rüden Beschimpfungen ergossen und an dem ein oder anderen Taxifahrer versündigt. Überhaupt lebt es sich gerade nahezu schwerelos. Eine eigentümlich paradoxe Leib-Seele-Dialektik.

6. August 2012

Die Magie des Moments

London, 5. August 2012, 21:50 Uhr GMT. Das ewige Nationenduell auf Bahn 3-8: Jamaika gegen die USA. Powell, Gay, Blake, Gatlin, Bolt, Bailey; die Sprintkönige nebeneinander aufgereiht. Die letzten virilen Gesten ausgetauscht, Tonnen des Testosterons versprüht, Adrenalin im Blutkreislauf von Läufer und Zuschauer. "On your marks!", letzte Korrekturen am Block, Waden lockern, komplizenhafter Blick zum Himmel, Bekreuzigung. "Get set-", 80.000 schweigen gebannt, Totenstille, "-go!". Powell und Gay kommen ausgezeichnet aus dem Block, Bolt rennt zunächst etwas hinterher, Gatlin und Blake schließen an die Spitze auf, Bolt dahinter. Auf der 60er-Linie wirft Bolt wie gewohnt den Turbo an, kassiert nacheinander alle Rivalen und geht deutlich vor ihnen ins Ziel. 9,63 am Ende: Olympischer Rekord und Bolt "back in business". Es sind nicht einmal zehn Sekunden und trotzdem brauche ich heute Nacht ein tausendfaches dieser Zeit bis die inneren Erregungszustände nachgelassen haben und ich endlich einschlafen kann.

5. August 2012

Alles nach Plan

Die Nachricht ist inzwischen in alle Lebensbereiche, Freundes- und Familienkreise gesickert und schon lange halten sich die Anflüge von Panik (bis auf den anstehenden Geburtsakt) in Grenzen. Der weihnachtliche Geburtstermin ist inzwischen ebenso verdaut wie die Angst vorm Fett- und vor allem Unsportlichwerden. Keine der angedrohten Szenarien bewahrheitet sich: Keine Wassereinlagerungen, keine Fettpolster, stattdessen immer wieder von außen an mich herangetragene Verwunderung: "Was bitte? Ende fünfter Monat soll das sein? Willst Du mich verarschen, so sieht mein Bauch nicht mal unschwanger aus". Selbst die Aufschläge und Hetzjagden beim Speedminton noch keine größere Hürde, wenig Kurzatmigkeit, Joggen funktioniert ausgezeichnet, Schwimmen sowieso. Manchen Rennradfahrer muss ich trotz innerer Widerstände zwar ziehen lassen, aber die schwerfälligen Prenzl'-Bergerinnen stecke ich locker noch in die Tasche. Dass mir nie schlecht war und jegliche Nahrung weiterhin schmeckt, ein Geschenk des gnädigen Gottes in der besten aller möglichen Umstandswelten. Überhaupt, durch die regelmäßigen Spaziergänge durch den Kiez im Angesicht der vielen Väter mit kreisrundem Haarausfall und ältlicher Mütter (by the way: Ob unsere Mamas wohl für die Mutter unseres Kindes gehalten werden, sobald sie den Wagen alleine durch die Straßen schieben, wenn es dann soweit ist? Diese Frage amüsiert M. und mich nachhaltig und seit Wochen), die die besten Zeiten bereits hinter sich haben, bestätigt, steht eines immer deutlicher vor Augen: 29 scheint ein gutes Alter, nicht nur in Bezug auf Rückbildung, berufliche Flexibilität und zu erwartendem, gemeinsamen Zeithorizont mit dem Kinde, sondern vor allem, weil wir kraft unseres Alters (zu Zeiten meiner Eltern wären wir schräg beäugte Spätgebärende gewesen) vielleicht die Klippen der nervigsten Debatten, die sich um allerhand Materielles drehen (Eigentumswohnung hier im Kiez, Erbschaft, Familienkutsche, Ehevertrag, Lebensversicherung und der ganze Kram, der uns nicht allzu viel bedeutet), galant umschiffen könnten, da man uns als Gesprächspartner schlichtweg nicht auf eigener Augenhöhe wahrnimmt, hoffentlich!
Der Facharzt für Pränataldiagnostik dann sichtlich amüsiert über unser Auftreten. Drei Spätgebärende wären vor uns im Sprechzimmer gewesen, weit über vierzig, etwas verkrampft, auf jeden Fall mit hypochondrischen Tendenzen. Niemand Anfang dreißig, geschweige denn in den Zwanzigern, manchmal eine ganze Woche lang! Einfach deprimierend sei dies, diese immergleichen Pärchen mit den immergleichen Fragen. Das Panorama des Wartezimmers bestätigt die Aussage: Zwischen fleißigen Verwaltungsbeamten und Unternehmesberatern, Juristen und Wirtschaftsprüfern in schlecht sitzenden, aber mit Verlaub teuren Anzügen, schwitzend und mit Bauchansatz neben ihren früh ergrauten etwas aus der Form gegangenen Partnerinnen in Stefanel, Strenesse und Feinstrumpf M. und ich. Er in knielangen Cargos und Punk-Shirt, ich im gepunkteten Sommermini mit Keilwedges. Beide sommerlich ungekämmt, mit Mückenstichen an den Beinen und zwischen schlechter, aber großformatiger Kunst herrlich deplaziert. So wird einem zumindest nicht langweilig in dem ganzen Schwangerschaftskosmos mit seinen eisernen Regeln, seiner Deutungshermetik, seinen Vorschriften, Vorsichtsmaßnahmen und dem ganzen Schabernack, so bleibt immer noch ein wenig Lästerwertes übrig, denke ich mir und kaufe mir im Späti eine Club Mate, dieses Koffein-Teufelszeug, das weisen Müttern zufolge (wie Haarefärben, Kaffee und zuviel Sport und Stress natürlich)  Fehl- wenigstens aber Frühgeburten auslösen soll. Das Kind schlägt in meinen Bauch ausgelassene Purzelbäume und freut sich.