31. Januar 2011

Rauhe Reife

















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Wie diese kinderbewagten Spätdreißigerinnen einem gaffend ins Gesicht kriechen, während man den schnellen Zehnkilometerlauf, aus der Gegenrichtung kommend, mit einem ambitionierten Schlusssprint hinter sich bringt, ist mir ganz und gar unheimlich.
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Eine wichtige Person zieht nach Berlin zurück, während ein anderer Lebensbegleiter der Stadt vorfreudig den Rücken kehrt. Vor meinem inneren Auge schreibe ich mit beängstigendem Nachdruck beständig Willkommens- und Abschiedskarten. Von außen ist mir nichts als ein Augenzwinkern anzumerken.
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Nachdem am Sonnabend die edelsten Tropfen Gaumen und Kehle benetzt, steht der herannahende Februar ganz im Zeichen der Absenz von jeglichen Rauschmittel. Möge sich diese Askese fruchtbar auf die intellektuelle Umtriebigkeit auswirken!
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Der Nachschlaf liefert mir statt matter Erholung momentan einen permanenten Exzess von Bildern, die in Mordsgeschwindigkeit vorbeirauschen. Subtile Bedrängnisse, die mich noch bis zur Mitte des Tages in hellsten Aufruhr versetzen.
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Bedrohlich erscheinen mir schon jetzt die kommenden Wochen. Mit Aufgaben bestückt, die meine ganze Hingabe und mehr als einen Funken Disziplin verlangen. Ach Jänner, sanft brachtest Du mich in dieses Jahr, nahmst mir Spannung und Balast. Bohrende Fragen: Nach den Strapazen zu lange ausgeruht? Jetzt, wo Du zu Ende gehst, sehe ich überall nur noch gefährliche Stricke, die mich zu Fall bringen können.

30. Januar 2011

Sworn to secrecy

Von einer zarten Traurigkeit werde ich in den Schlaf gewogen...

So let me go out there
I can breathe fresh air
Stay with you all night
Just let me love you
Just for a while want to
Be with you all night
Be with you all night

Until I fall asleep

Just let me be here
I won't tell anyone
Don't want to wake up

28. Januar 2011

III. Song of the Day

Macht jede S-Bahnfahrt durch die traurig-graue Regenlandschaft zu einem inneren Erlebnis...

 

II. Lieblingsstilkritik der Woche

Scheck mit Schalk im Nacken über Mini Shopaholic: "Angeblich ein moderner Unterhaltungsroman über eine modebewusste Markenfetischistin mit Kind. Tatsächlich aber eine Dressuranleitung mittels derer junge Frauen zu geistfeindlichen, gebärfreudigen Schnäppchenjägerinnen abgerichtet werden. Menschen, die von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennen."

I. Consummatum est

Im Inneren zitterte die messianische Vervollkommnungsbegierde, gab Leuchtkraft ab und wirkte Wunder. Ein solcher Körper wird natürlich nie krank und schlaff, er schläft kaum, ißt und trinkt wie ein Rotkelchen, läuft und schwebt und sinnt und spricht, bis alle Fingerzeige gegeben, alle Gleichnisse kommuniziert sind. Und wird dabei dünner und dünner, bis zur Generalprobe, da Muskeln und Sehnen in extremis hervortreten und der Geist brennt.

Wer solche Sätze schreibt, der wandelt somnambul unter den Sternen. Lewitscharoffs Consummatus brachte nicht nur delikateste Unterhaltung - schon allein aufgrund des Stimmengewirrs des Großen Totenohrs - sondern stimmte mich zuversichtlich, dass der deutschen Literatur wieder etwas zuzutrauen ist. Auf dass sie jenseits des verbreiteten Plaudertons - für mich Gipfel der Langeweile - im Reich des Experimentellen ihre neue Spielwiese findet.
Überaus beglückt schreite ich nun in Richtung Josef Martin Bauer So weit die Füße tragen, das mein ansonsten dem Buche wenig zugeneigter Vater mir empfahl. Von der Gestaltung des Buchdeckels zunächst derart verschreckt, besorgte mein treuer M., da ich mich einfach nicht überwinden konnte, mir das Bastei-Lübbesche Taschenbuch, das ich nun am liebsten in Brotpapier einschlagen möchte, so häßlich ist es. Da ich jedoch bisher der Devise Don't judge a book by its cover (fast) immer treu geblieben bin, werde ich wohl meine hart erarbeiteten Wochenendstunden jener Lektüre widmen. Und weil ich schon immer eine große Liebhaberin von Expeditions- und Reiseberichten war - ob fiktiv oder real, ob ästhetisch verstiegen oder von wissenschaftlichem Interesse geleitet - und meine Phantasie im Marschgepäck von Defoe, Verne, Humboldt, Forster, Conrad neugierig Platz nahm, während mein daheim gebliebenen Finger auf der Landkarte eifrig den zurückgelegten Schritten folgtearbeite ich, aufgeregt wie ein Kind, das die ersten Bücher verschlingt, seit heute morgen im  intellektuellen Akkord. Und das nur, damit meine Phantasie schnellstmöglich neues Futter bekommt. I ♥ Fridays.

26. Januar 2011

"eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zu mir sprechen"

Dass ich plötzlich diese ganz kleinen Dinge sehen kann. Wie die kristallinen Tropfen an den mageren Ästen hängen und wie ich dort hinsehen muss, gar nicht mehr wegschauen kann. Dass ich dabei Gefühlen ausgesetzt bin, innerlich getroffen, berührt - fast chandosartig - von der Anziehung des Sichtbarwerdens auch das hat Dein Tod mir gebracht.

14. Januar 2011

Von der Theatralität subtiler Arrangements

Die Inszenierung der eigenen Wohnräume. Ein affektiertes Spiel, in dem ich eiferhaft stets nach der höchsten Vollendung strebte! An unzähligen Bücherregalen, Schreibtischen und Kommoden bin ich seitdem vorbeigelaufen. Meist bot sich dem voyeuristischen Auge das immer gleiche Panorama: Wenig Buch. Und auch wenn ich den Asketismus anderer, zu dem ich selbst ganz und gar unfähig bin, schätze, handelte es sich bei diesem Wenig  nicht etwa  um eine ausgeklügelte Auswahl auf der Grundlage ästhetischer Empfindsamkeit oder geistiger Agilität, sondern verwies die minimalistische Faktenlage allzu oft auf den langweilgsten, der Welt  entbehrlichsten, Leistungskursunterricht im Fach Deutsch. Immer wieder Faust, Gregor Samsa und Effi Briest. Fast nie oder wirklich selten anderes außer aufgezwungenen Lektüren. Als fragmentarische Spuren des jeweiligen Bewohnerlebens verstanden, was mehr, als der bedauerlichste Ausdruck unterjochten Intellekts?


13. Januar 2011

Schwacher Moment

Eine Weihnachtskarte hätte nicht kitschiger ausfallen können als diese. Auf Masse produziert und im Fünferpack für 99 Cent in jedem Discounter feilgeboten, finden sich ihre Artgenossen tausendfach unter heimischen Tannenbäumen. Ich gehe jede Wette ein, dass die Großeltern jedes Familienmitglied entsprechend bedacht hatten. Bei einer Aufräumaktion diese Woche fiel sie mir, die achtlos in die Ecke Geworfene, wieder in die Hände zurück. Das Motiv (begeigter Putte mit Goldüberzug nebst gräßlichstem Kerzengesteck) nur ein wenig mit dem Auge gestriffen, fand sich darin, den Schnörkelspruch der Vorderseite fortsetzend, der saubere Schriftzug meines Opas: "wünschen Dir Oma und Opa". Nachdem ich sie später längst in den Müll geworfen hatte, sorgte ein spontaner Anfall der Rührung für die nachträgliche Wiederbeschaffung. Da es mir in der nächsten Zeit wohl nicht mehr gelingen wird, mich dieser kleinen Geschmacklosigkeit aus Weichkarton zu entledigen, trohnt sie nun, lässig an die Wand gelehnt, umso triumphierender in meiner Blickweite. Und wieder einmal muss ich mich meinen eigensinnigen Sentimentalitäten geschlagen geben.

11. Januar 2011

It's only words...

Dass ein paar beschwipst dahergesagte Sätze dies anrichten können, hätte ich niemals auch nur im Traum geahnt. Plötzlich war sie da, diese Angst. Seitdem steht sie unentwegt hinter mir, verfolgt mich, unabschüttelbar, auf Schritt und Tritt, guckt mir bei allen Gedanken über die Schulter. Wie ein schmarotzender Parasit hat sie sich fest in alle Gedanken eingenistet. Vor allem dort, wo der Glaube an die Freiheit beheimatet ist, hat sich seither die Skepsis niedergelassen. Zumindest die frostige Kälte, die sich morgentlich über müde Lider legt , lindert den Schmerz ein bißchen.

8. Januar 2011

Keep on rolling

Zehntausend Überlegungen später, die Feste vorbeigerauscht, der Schnee geschmolzen. Alles grau und schwarz da draußen. Moskaus westlichster Vorort zeigt sich von seiner häßlichsten Seite und die Plusgrade machen Kopfschmerzen. Die Autos sind leider auch wieder voll auf Kurs. Es regnet permanent kleine Fädchen, die einem feucht-modrig unter die Haut kriechen wollen.
Das neue Jahr ist nun eine Woche alt, milder und heller als das alte. Ein Monat Leben fehlt hier.
Meine Datenbanken sind inzwischen gelöscht, die eigenen URLs stillgelegt. Durch ein fachkundiges Wort aus dem Taumel meiner Naivität geweckt, stand sie auf einmal vor mir: die ganze Tragweite jener Spuren, die ich digital hinterlassen habe. Weder die Universität, an der ich akademisch reifte, noch mein klarer Name sollen von nun an unters Volk. Zumindest nicht mehr derart offensiv. Doch da mir, nach einem Monat Bedenkzeit, das Schreiben ungebrochen innerliches Bedürfnis ist, werde ich an dieser Stelle weitermachen und fühle mich so zumindest halbwegs von der DENIC abgeschottet.

Das Geheimnis ist für die Glücklichen; das Unglück braucht, das hoffnungslose, keinen Schleier mehr.