3. April 2023

Horten

Vor einiger Zeit habe ich im Deutschlandfunk einen Beitrag über das Aufräumen gehört, in dem auch Marie Kondo eine prominente Rolle spielte.
Ich erinnere mich nur noch dunkel, dass neben den geläufigen Strategien auch ein Psychotherapeut zu Wort kam, der darin kurz auf die Gründe für das übermäßige Ansammeln von Dingen zu sprechen kam. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir seine Einschätzung, dass eine lieblose Kindheit oft mit dem späteren Anhäufen und Festhalten von unnötigem Besitz einhergeht — im Gegensatz zur Ansammlung von Statussymbolen der sozialen Aufwertung. Horten als eine Art emotionaler Hyperkompensation der Zukurzgekommenen. 
Als das Kind einer exzessiv hortenden Mutter mit einem Kleiderschrank, von dem mein Vater meint, dass er wegen seiner stattlichen Größe und seines immensen Gewichts jederzeit durch die Decke in die darunterliegende Wohnung zu stürzen droht, wurde ich sofort hellhörig.
Wie sie leide ich an einer manischen Obsession des Anhäufens, einer übertriebenen Akkumulation jenseits produktiver Sammelleidenschaft. Wie sie kapriziere ich mich seit Jahren auf den Konsum von Kleidung und Kosmetik. Dabei geht es nie um Hochpreisiges oder gar Exquisites aus Designerhand. Es ist die schiere Masse, die zählt. Auf fünf parallelen Webseiten überquellende Warenkörbe, digitalisierte Listen mit angestrebten Konsumwünschen, wiederkehrende Verzweiflung beim Umstellen der Garderobe von Sommer auf Winter, von Winter auf Sommer, zwischenzeitlich: Befreiungsschläge und spontanes Loslassen von einer Kofferraumladung Kleidung, dann erneute Jagd und spätere Anbetung der Beute.
Es ist absurd. Ein großer Teil meines Lebens besteht aus einer absoluten Verausgabung im/an den Konsum, einer Dauerbeschäftigung mit der Beschaffung von Dingen, an denen man sich kurz festhalten kann, die man dann festhält und verteidigt.
Dabei kann niemand all das jemals anziehen. Auch in zehn Leben nicht…