28. September 2010

Die Bürde erster Falten


Ich hätte schwören können, dass sie vor kurzem noch nicht da waren, diese kleinen linientreuen Biester, die sich seit Neuestem in illustrig-trauter Runde unter meinen Augen versammelt haben. Ich erkenne sie nun, von noch so kleinen Flächen reflektiert, in Brillengläsern, Barspiegeln oder Schaufenstern. Besonders schmerzlich für mich, entdecke ich sie immer öfter auch in den Blicken und zwischen den Bemerkungen meiner Freundinnen. Ich bin die Erste und, was besonders erschreckend ist, eine der Jüngsten, in deren Gesicht sie sich zeigen. Natürlich habe ich, wie keine von uns, je eine Zigarette oder durchzechte Nacht  ausgeschlagen. Jedoch, was mich wundert, zeigen sie sich nun als die Spuren einer Zeit, in der ich sehr viel gelacht habe, fröhlich war. Eine Zeit geradezu, die die Ereignisse des letzten Jahres scheinbar unter sich begraben haben. Verfolgt also von der in mir rumorenden Frage, ob ich wirklich so schnell altere, gealtert, dem allmählichen Verfall preisgegeben bin, sollten sie letztendlich sogar diejenigen Narben sein, die sich schleichend über meiner großen Wunde gebildet haben? Diese zart zugedeckt haben, ohne sie je ganz schließen zu können? Was sich fast lyrisch in mir Bahn bricht, wittert beunruhigt unter der Oberflächenerscheinung längst ein Symptom der Tiefen: Dass nämlich die harmlosen Linien vielleicht doch mehr ein tiefer Graben zwischen dem Vergangenen und dem noch Unbekannten sein könnten, das sich Erwachsenwerden und Loslassen nennt…