Ab Oktober dann neigt sich der intellektuelle
Leerlauf, den die Elternzeit mit sich brachte – und wie
ich im rückblickendem Vergleich inzwischen guten Gewissens behaupten kann:
endlich – dem Ende zu und die Kleine geht, mancherorts
kritisch beäugt, mit zarten neun Monaten in die Kita. Zuerst weint sie dort
viel, schläft erst nach zweieinhalb Wochen das erste Mal dort zu Mittag, davor
nur halbe Tage Aufenthalt. An jenen Tagen quält mich meine gewohnte Ungeduld,
erwäge ich Szenarien des Scheiterns dieser Eingewöhnungsnummer, um sie kurz
danach wieder zu verwerfen. Das muss klappen, es gibt keine Alternative
beschwöre ich mich. Indes studiere ich exklusive nächtlicher
Vokabellernsessions in Altgriechisch und Latein, wenn die Kleine schläft,
wieder Vollzeit; arbeite insgesamt konstant über der 50-Stunden-Marke, während
M. eine 12-Stunden-Nachtschicht nach der anderen abreißt, damit die
Staffelstabübergabe täglich glückt. Auch mit Omis und Opis stehen wir im engen
organisatorischen Bunde; allesamt ostdeutsch sozialisiert, daher keinerlei
Irritation über den Wunsch, wieder mit anderen Dingen betraut zu sein als der
Kindesversorgung, ihnen ging es da vor drei Jahrzehnten auch nicht anders.
Einziger Wermutstropfen: sie selbst haben alle noch mindestens 10 Jahre
Berufsleben vor sich, sonst lägen die Dinge wahrlich noch unkomplizierter.
Antiproportional zu meinen Augenringen wächst
wöchentlich die Begeisterung, dass das Hirn endlich wieder Fahrt aufnehmen
darf. Am Anfang sind meine Hypotaxen zwar wie üblich philosophisch
angereichert, aber irgendwie holprig, fragmentarisch, breiig. Von Woche zu
Woche und mit steigendem (Arbeits-)Pensum werde ich produktiver, werden
Gedankengänge luzider, Argumentationen sicherer und zunehmend subtiler. Ich
mache Fortschritte bei der Lektüre altsprachlicher Originaltexte, lerne 600
Vokabeln seit Mitte Oktober, verinnerliche Phänomene lateinischer Syntax und
Stilistik. Die Welt der Antike öffnet sich meinem ungestillten
Wissensdurst. Es ist ein Zustand aufmerksamer Spannung. Wie ein römisches
Heer in Schlachtordnung — agmen et stare paratum et
sequi, nec turba, nec sarcinis praegrave, intentum ad ducis non signum modo,
sed etiam nutum... Ein Zustand gesteigerter Wachheit ganz gleich wie kurz die
Nächte sind. So fit habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Was meine
Universalthese stützt, dass mehr Bewegung im Alltagsleben mit quasi-kausaler Zwangsläufigkeit
auch eine Steigerung von Kraft, Konzentration und Ausdauer impliziert.
Trainingseffekte des (sich) regen(den) Geistes, auf den Körper konnte ich mich
da schon immer besser verlassen. In meinen Vorstellungen wechseln sich Bilder
von mir vor einer 30-köpfigen Klasse über den Unterschied von Gerundivum und
Gerundium, den Gebrauch von Irrealis, Potentiales, Hortativ und Prohibitiv
fabulierend mit jenen ab, die mich vor dem Hintergrund eines Lehrergehaltes
durch die Welt reisend zeichnen: Island, Kanada, Südafrika, Réunion,
Neuseeland; Rocky Mountains, Anden, Himalaya (jeweils nach Sehnsucht geordnet).