11. Januar 2014

Dauerstrom ( I ♥ it, but it's killing me...)


Ab Oktober dann neigt sich der intellektuelle Leerlauf, den die Elternzeit mit sich brachte und wie ich im rückblickendem Vergleich inzwischen guten Gewissens behaupten kann: endlich dem Ende zu und die Kleine geht, mancherorts kritisch beäugt, mit zarten neun Monaten in die Kita. Zuerst weint sie dort viel, schläft erst nach zweieinhalb Wochen das erste Mal dort zu Mittag, davor nur halbe Tage Aufenthalt. An jenen Tagen quält mich meine gewohnte Ungeduld, erwäge ich Szenarien des Scheiterns dieser Eingewöhnungsnummer, um sie kurz danach wieder zu verwerfen. Das muss klappen, es gibt keine Alternative beschwöre ich mich. Indes studiere ich exklusive nächtlicher Vokabellernsessions in Altgriechisch und Latein, wenn die Kleine schläft, wieder Vollzeit; arbeite insgesamt konstant über der 50-Stunden-Marke, während M. eine 12-Stunden-Nachtschicht nach der anderen abreißt, damit die Staffelstabübergabe täglich glückt. Auch mit Omis und Opis stehen wir im engen organisatorischen Bunde; allesamt ostdeutsch sozialisiert, daher keinerlei Irritation über den Wunsch, wieder mit anderen Dingen betraut zu sein als der Kindesversorgung, ihnen ging es da vor drei Jahrzehnten auch nicht anders. Einziger Wermutstropfen: sie selbst haben alle noch mindestens 10 Jahre Berufsleben vor sich, sonst lägen die Dinge wahrlich noch unkomplizierter.
Antiproportional zu meinen Augenringen wächst wöchentlich die Begeisterung, dass das Hirn endlich wieder Fahrt aufnehmen darf. Am Anfang sind meine Hypotaxen zwar wie üblich philosophisch angereichert, aber irgendwie holprig, fragmentarisch, breiig. Von Woche zu Woche und mit steigendem (Arbeits-)Pensum werde ich produktiver, werden Gedankengänge luzider, Argumentationen sicherer und zunehmend subtiler. Ich mache Fortschritte bei der Lektüre altsprachlicher Originaltexte, lerne 600 Vokabeln seit Mitte Oktober, verinnerliche Phänomene lateinischer Syntax und Stilistik. Die Welt der Antike öffnet sich meinem ungestillten Wissensdurst.  Es ist ein Zustand aufmerksamer Spannung. Wie ein römisches Heer in Schlachtordnung agmen et stare paratum et sequi, nec turba, nec sarcinis praegrave, intentum ad ducis non signum modo, sed etiam nutum... Ein Zustand gesteigerter Wachheit ganz gleich wie kurz die Nächte sind. So fit habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Was meine Universalthese stützt, dass mehr Bewegung im Alltagsleben mit quasi-kausaler Zwangsläufigkeit auch eine Steigerung von Kraft, Konzentration und Ausdauer impliziert. Trainingseffekte des (sich) regen(den) Geistes, auf den Körper konnte ich mich da schon immer besser verlassen. In meinen Vorstellungen wechseln sich Bilder von mir vor einer 30-köpfigen Klasse über den Unterschied von Gerundivum und Gerundium, den Gebrauch von Irrealis, Potentiales, Hortativ und Prohibitiv fabulierend mit jenen ab, die mich vor dem Hintergrund eines Lehrergehaltes durch die Welt reisend zeichnen: Island, Kanada, Südafrika, Réunion, Neuseeland; Rocky Mountains, Anden, Himalaya (jeweils nach Sehnsucht geordnet).