Von meinen Mitmenschen immer wieder mit der gleichen umsorgenden Geste bedacht: Kaum steige ich etwas verschwitzt vom Fahrrad, bin ich schnellen Schrittes irgendwo angelangt, auf den letzten Metern mit der schweren Tasche voll Cicero, Vergil, dem Burkhard/Schauer und dem alten Menge vielleicht auch etwas gesprintet, falls die Zeit mir davonlief, konfrontiert mit der Bitte, doch erst einmal Platz zu nehmen und etwas durchzuatmen. Nie verstanden, dieses gezwungene Einhaltgebieten der Kräfte. In meiner Vorstellung ganz und gar unnötig, als bedurften Geist und Körper eingehender Schonung, nur weil sie ein wenig in (sowieso) gewohnter Bewegung waren. Ohne Verzögerung könnte es indes, und wenn es nach mir ginge, weitergehen. Schon immer zu lebendig für das: Hinsetzen und zur Ruhe kommen, um nach Minuten des verschnaufenden Schweigens bedächtig ein paar unbedeutende Sätze aus dem Ärmel zu schütteln. Mein Wesen, dieser überbordende Zug meines Charakters, beizeiten der Mitwelt sicher etwas grotesk anmutend, bisweilen ein strapaziöses Unterfangen für zurückhaltend oder gar gemütliche Geister, macht mir da schon immer irgendwie einen Strich durch die Rechnung. Dieses permanente Dauerfeuer an Worten, Gesten und Bewegung — nicht umsonst wurde mir schon in den ersten Semestern des ersten Studiums, wie ich erst Jahre später und eher etwas zufällig erfuhr, der Beiname Maschinengewehr zu eigen, der hinter meinem Rücken kursierte, aber, wie man mir beteuerte, äußerst liebevoll mir zugedacht war —vielleicht der Grund für die Bitte: Dem Gegenüber die Möglichkeit einzuräumen, etwas durchzuatmen im Angesicht dieser wuchtbrummenhaften Dauerpräsenz. Im Bezug auf mein künftiges Studienratsdasein immerhin bedenkenswert. Gemeinschaftliche Übereinkunft der Kommilitionen im Rahmen eines erziehungswissenschaftlichen Coachings: "das könnte aus Sicht des Schülers gerade in der ersten Stunde montags oder in der achten in Latein ziemlich anstrengend werden, sein Dasein im kontinuierlichen Standby zu fristen, um jederzeit ansprechbar zu sein." Immerhin keine Befürchtungen, nicht in den hinterletzten Winkel des Raumes zu reichen, bis hierin auszustrahlen mit mentaler und leiblicher Agilität. Jetzt nur noch irgendwie lernen, dem Gegenüber mehr Verschnaufspausen zu gönnen: ganz oben auf der Agenda!
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7. August 2014
11. Januar 2014
Dauerstrom ( I ♥ it, but it's killing me...)
Ab Oktober dann neigt sich der intellektuelle
Leerlauf, den die Elternzeit mit sich brachte – und wie
ich im rückblickendem Vergleich inzwischen guten Gewissens behaupten kann:
endlich – dem Ende zu und die Kleine geht, mancherorts
kritisch beäugt, mit zarten neun Monaten in die Kita. Zuerst weint sie dort
viel, schläft erst nach zweieinhalb Wochen das erste Mal dort zu Mittag, davor
nur halbe Tage Aufenthalt. An jenen Tagen quält mich meine gewohnte Ungeduld,
erwäge ich Szenarien des Scheiterns dieser Eingewöhnungsnummer, um sie kurz
danach wieder zu verwerfen. Das muss klappen, es gibt keine Alternative
beschwöre ich mich. Indes studiere ich exklusive nächtlicher
Vokabellernsessions in Altgriechisch und Latein, wenn die Kleine schläft,
wieder Vollzeit; arbeite insgesamt konstant über der 50-Stunden-Marke, während
M. eine 12-Stunden-Nachtschicht nach der anderen abreißt, damit die
Staffelstabübergabe täglich glückt. Auch mit Omis und Opis stehen wir im engen
organisatorischen Bunde; allesamt ostdeutsch sozialisiert, daher keinerlei
Irritation über den Wunsch, wieder mit anderen Dingen betraut zu sein als der
Kindesversorgung, ihnen ging es da vor drei Jahrzehnten auch nicht anders.
Einziger Wermutstropfen: sie selbst haben alle noch mindestens 10 Jahre
Berufsleben vor sich, sonst lägen die Dinge wahrlich noch unkomplizierter.
Antiproportional zu meinen Augenringen wächst
wöchentlich die Begeisterung, dass das Hirn endlich wieder Fahrt aufnehmen
darf. Am Anfang sind meine Hypotaxen zwar wie üblich philosophisch
angereichert, aber irgendwie holprig, fragmentarisch, breiig. Von Woche zu
Woche und mit steigendem (Arbeits-)Pensum werde ich produktiver, werden
Gedankengänge luzider, Argumentationen sicherer und zunehmend subtiler. Ich
mache Fortschritte bei der Lektüre altsprachlicher Originaltexte, lerne 600
Vokabeln seit Mitte Oktober, verinnerliche Phänomene lateinischer Syntax und
Stilistik. Die Welt der Antike öffnet sich meinem ungestillten
Wissensdurst. Es ist ein Zustand aufmerksamer Spannung. Wie ein römisches
Heer in Schlachtordnung — agmen et stare paratum et
sequi, nec turba, nec sarcinis praegrave, intentum ad ducis non signum modo,
sed etiam nutum... Ein Zustand gesteigerter Wachheit ganz gleich wie kurz die
Nächte sind. So fit habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Was meine
Universalthese stützt, dass mehr Bewegung im Alltagsleben mit quasi-kausaler Zwangsläufigkeit
auch eine Steigerung von Kraft, Konzentration und Ausdauer impliziert.
Trainingseffekte des (sich) regen(den) Geistes, auf den Körper konnte ich mich
da schon immer besser verlassen. In meinen Vorstellungen wechseln sich Bilder
von mir vor einer 30-köpfigen Klasse über den Unterschied von Gerundivum und
Gerundium, den Gebrauch von Irrealis, Potentiales, Hortativ und Prohibitiv
fabulierend mit jenen ab, die mich vor dem Hintergrund eines Lehrergehaltes
durch die Welt reisend zeichnen: Island, Kanada, Südafrika, Réunion,
Neuseeland; Rocky Mountains, Anden, Himalaya (jeweils nach Sehnsucht geordnet).
27. August 2012
Frühsport
Das Thermometer kratzt haarscharf an der 20°-Marke. Der Himmel ist von einem solchem spätsommerlichen, einem frühherbstlichen Azur, auf dem weiße Wolken dahinschwimmen. Heute bin ich die Zweite in der Schlange vor dem Freibad Humboldthain. Vor mir eine Schwimmerin, die ich hier öfter treffe, immer um die gleiche Uhrzeit. Die ich wegen ihres kraftvollen Delfinschwimmens und ihres technisch saubersten Kraulens still bewundere. Als Erste - den Bikini habe ich nämlich immer schon unter der Kleidung und spare mir dadurch den Gang in die Garderobe - ziehe im Becken meine Bahnen und wirbele das vom Wind zart gekräuselte Wasser durcheinander, denke dabei kurzzeitig an Merleau-Pontys Meditationen über Hockney und schon packt mich der Flow, löse ich mich ganz in der Bewegung auf, atme tief. Der ganze Körper eine Oszillation der Bewegung, ein Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Die kinästhetische Monotonie nur zeitweilig unterbrochen von kuriosen Fragen, beispielsweise warum soviele der Bloggerinnen, deren Leben ich regelmäßig lesend verfolge, eindeutig dazu neigen, ihre Füße zu einem präferierten Motiv ihrer über soziale Netzwerke veröffentlichten Fotos zu machen (hier, hier, hier, hier und auch hier). Bei 1500m falle ich durch die Gleichmäßigkeit der Bewegung - ich schwimme immer ohne Pause, in gleichbleibender Frequenz und Lage - regelmäßig in einen derart meditativen Zustand, dass es mich nicht wundern würde, wenn die Weltenformel mir plötzlich zufiele. Gelingt es mir zu diesem Zeitpunkt hingegen über 500m Brust schwimmend mit einem schnellen Krauler mitzuhalten, der mir vor der Seitenwende verwundert Blicke herüberwirft, gerate ich in Hinblick auf den sportlichen Wettbewerb zwischen uns sogar nahezu in einen Zustand der Ekstase.
Folgt man den Kritikern der Olympischen Spiele in ihren (jenseits von Argumenten, die die Kommerzialisierung des Sports betreffen) geltend gemachten Punkten, nimmt man die Paradigmen unserer Pädagogik (insbesondere der (Klein-)Kindpädagogik), zudem die Programmatik moderner Politik unter die Lupe, die aus Angst vor gesellschaftlicher Spaltung durch die Bekräftigung von Diversitäten lieber auf Ausgleich und Nivellierung setzt, reflektiert man darüberhinaus das in unser Gesellschaft verankerte Frauenbild, demnach Frauen zwar in pucto körperlicher Ästhetik eifrig konkurrieren dürfen, das gegenseitige Messen sich jedoch keinesfalls, das sage ich aus persönlicher Erfahrung, auf das Terrain von Wissen, Spiel, Laien- und Extremsport ausbreiten soll, ist der Wettbewerb zwischen Individuen, der auf kontinuierlicher Leistung(ssteigerung) beruht, per se des Teufels. Ich, für meinen Teil, habe unter Bedingungen des Wettbewerbs, im Messen der Kräfte, immer gute bis sehr gute Leistungen gezeigt, dabei einen starken und auch befriedigenden Antrieb entwickelt, der ohne die Hintergrundsituation des Kräftemessen nicht entstanden wäre, und konnte so das ganze Gezeter um die Anstachelung zu Feindseeligkeiten und die böse, menschenzerfleischende Konkurrenzsituation noch nie ganz nachvollziehen. Ja, und zugegeben, ich bin schon immer in eine innere Hochstimmung geraten, wenn ein Duell zu meinen Gunsten ausfiel. Ich gehöre demenstprechend auch zu den eher (sehr) schlechten Verlierern, denen Niederlagen und Unterlegensein verhasst sind.
Als ich nach 2500m und 60 Minuten aus dem Becken steige, fühle ich mich als körperlich-geistige Einheit jedenfalls mehr als erfrischt.
14. August 2012
Ein Traum von Sommer
Dieses wunderbare Wetter. Ein weiter, klarer, tiefblauer Himmel, der sich nachts wie ein sanftes Tuch über die Stadt legt. Ich schlafe wie ein Baby dieser Tage. Träume abwechselnd, ich wäre Leistungssportlerin im Olympia-Kader (am brennensten Dreispringerin oder Siebenkämpferin) oder Surferin auf Hawaii, würde in Vorderasien graben oder Renaissance-Kirchen restaurieren. Morgens fahre ich auf meinem goldenen Hercules von derlei nächtlichen Phantastereien erfrischt und trotz des Nachferienansturms radelnder Eltern-Kind-Gemeinschaften durch Mitte an die Alma Mater Berolinensis, meinen Arbeitgeber, und werde ob des mittelmäßigen Verkehrschaos beim Überqueren der Torstraße kein wenig unruhig. Dabei liegt mir das verbale Entgleisen im Straßenverkehr leider allzu nah, habe ich viel zu oft und zu schnell die Fassung verloren, mich in rüden Beschimpfungen ergossen und an dem ein oder anderen Taxifahrer versündigt. Überhaupt lebt es sich gerade nahezu schwerelos. Eine eigentümlich paradoxe Leib-Seele-Dialektik.
26. Februar 2012
Über uns die Himmel
6:15 Uhr: Wir plauschen noch ein bißchen an der Ecke, an der wir schon zu Schulzeiten so standen, dann ein Kuss und unter einem wolkendurchsetztem Himmel laufe ich durch die wunderbar frische Vorfrühlingsluft nach Hause, während eine sanfte Morgendämmerung aufzieht. Dass wir beste Freunde sind und das schon fast so lange ich denken kann und mein Herzschlag präzise dem Takt der Musik folgt in diesem Augenblick, ein Gefühl überströmender Lebendigkeit. Eigentlich habe ich mindestens drei Gläser Rotwein und zwei Bier zuviel im Blut. Eigenartig beschwipst und von den Morgenvögeln begleitet, hüpfe ich auf den letzten Metern fast schwerelos voran bis ich die Haustür erreiche.
18. Februar 2012
Auf! Währt's?
Ein großes Aufraffen und Zusammennehmen. Welch ein Selbstantrieb! Um halb neun frisch und munter aus dem Bett und ohne Umwege an den Schreibtisch. Seitdem dort, bis auf ein Stündchen, in dem ich frische Luft draußen schnappen ging - ja, die deutsche Nation und ihr Verhältnis zur Natur, überhaupt ihr apriorischer Drang, das Fenster zu öffnen, sich die Beine zu vertreten und draußen (egal bei welchem Wetter übrigens) spazieren zu gehen, wenn die Gedanken sich drinnen verheddert haben, darüber hörte ich neulich die hinreißende Gayle Tufts berichten. Nun fester Hoffnung, nicht gleich wieder ins nächste Trägheitsloch zu stürzen, das sich da auftut.
6. Februar 2012
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Laufen
Das Quecksilber bezeugt zweistellige Werte unter dem Gefrierpunkt. Nach zehn Stunden intellektuellen Dauerbetriebs zieht es mich dennoch - die Kälte, die andere gar beklagen, ich genieße sie förmlich - mit doppelter Lage Thermoleggings und XL-Strickschal an die frische Luft. Am alten Mauerstreifen der Bernauer Straße entlang laufend und dann über das Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs wölbt sich über mich und den Schauplatz ein Himmel von furioser Luzidität. Gerade so transparent, so lichtern gar, als könne man direkt in das All schauen. In dieser klaren und eisigen Luft, die belebte Natur erstarrt, bin ich ganz unmittelbare Bewegung. Die schnellen Schritte lösen die Gedanken aus ihrer bleiernen Trägheit und versetzen sie in immer lebendigeren Fluss. Schritt für Schritt wuchert Gedanke um Gedanke, Imagination um Imagination. Abstraktiv schließe ich Kulturhistorie und Ontogenese, Barock und Pubertät kurz. Entgegen Nietzsches Einschätzung, der Barockstil entstünde unweigerlich inmitten des "Abblühens jeder grossen Kunst" zeigt sich mir das vitalistische Konzept der Epoche als ein agonales, sprich kompromissloses und strotzendes Aufblühen und nicht als Degeneration überreifen, totgeweihten Lebens. Unterwegs schleife ich mit der begrifflichen Nagelfeile immer beständiger an der Engführung der Phänomene. Überhaupt dieser, mein Hang zum Abseitigen, dem ich mit einer rohen Systematik Herr zu werden versuche, die angestrebte Verdichtung des Denkens, während alle Wärme des Körpers in seine Mitte sich zusammenzieht. Das Concentrare: ein psychophysischer Parallelismus; Leibniz' prästabilierte Harmonie, das eine Spiegelung des anderen. Durch das Laufen kommen die Überlegungen immer leichter über die ungegenständlichen Lippen des Hirns. Und als ich von dort hier hin zurücklaufe, weicht letztes fahles Scheinen einer gradiosen, alles überschattenden Opazität. Zuhause werde ich mir und dem Gefährten gefüllte Blätterteigtaschen mit Oliven, Basilikum und Feta kredenzen, sinniere ich bei bester Winterlaune. Doch zuvor werde ich mit Zettel und Stift noch schnell die reifen Früchte der im Laufen mit Nietzscheanischer Orthodoxie verfertigten Gedanken zu ernten versuchen, in der Hoffnung, bis dahin zumindest noch ein oder zwei Kerne aus dem Inneren ihres halbvergorenen Gehäuses aufgefangen zu haben.
4. Februar 2012
guttenborgen oder: Von der Erfindung neuer Verben
Nie werde ich jene Mitmenschen verstehen, die sich anschicken, pausenlos gegen die momentane Wetterlage zu protestieren. Für mich bietet das Berlinische Sibirien, das täglich im nicht enden wollenden Sonnenschein versinkt, ein Traum von einem Winter! Wer, zum Henker, frage ich mich insgeheim, sehnt sich unter diesen blendenden Voraussetzungen bloß nach minimalen Plusgraden und Fitzelniesel, der in die kleinste Pore kriecht? Nach einem ausgedehnten Spaziergang durch den Prenzl' Berg nach Pankow (und froh, die letzten Wochen keinen Schirm benötigt zu haben), weil das Hirn von philosophischer Lektüre bereits rauchte, die feinen Neuronennetze unter Dauerfeuer fast explodierten, mit Lolli im Mundwinkel, schaffte ich begleitet von frischem Minztee mehr als die halbe ZEIT und fand, um ein besonderes Fundstück reicher, nicht mehr zu meiner eigentlichen Arbeit zurück (Ach, Samstage!).
29. Dezember 2011
Kleine Abschiede
Einem neunjährigen Mädchen und ein fünfjährigen Jungen werde ich diesen Schatz aus Plastik, Pseudostrass und lackiertem Metall morgen darreichen. Gestern beim Aussortieren etwas Wehmut im Angesicht der vielen temps perdu, ihrer in Neonfarben materialisierten Reliquien. Und ich erinnere mich, wie ich damals, vor über einer halben Dekade, mit jenen kolossalen Metallsternen in den Ohrläppchen immer donnerstags in den Sage Club radelte, während diese die Ohren im Gegenwind zum Flattern brachten. Vorher hatte ich Psalmi et orationes gelesen - ich habe viel Petrarca gelesen seinerzeit, auch Dante, Montaigne und Erasmus von Rotterdam und kam für gewöhnlich zu spät zu jeglichen Verabredungen, weil ich zuhause immer noch lange Zeit herumtrödelte, Musik hörte oder las. Daher galt die stillschweigende Abmachung, Freunde direkt auf der Tanzfläche zu treffen, damit sie sich schon mal warm machten. Später dann, draußen dämmerte schon der graue Morgen herauf, kam ich auf dem Dragon Floor bei Industrial und Hardcore richtg in Fahrt und manchmal blieb in meiner Entfesselung ein armer, unbeteiligter, in sich selbst versunkener Tänzer an riesigen Sternen, Kugeln, Creolen hängen oder wurde unsanft daran aufgespießt. Einmal, in der Erinnerung inzwischen umdunkelt, war die Tanzfläche derart überfüllt und ich, wegen irgendeiner Kleinigkeit verärgert, daher innerlich auf 180 und bereit zu allem, verlor bei Take a look around (musikalisch leichteste Crossover-Kost) irgendwie die Fassung und schlug einem hinter mir Tanzendem eine blutige Nase, ein anderer riss mir kräftig am Ohrläppchenschmuck und verpasste mir fast ein Schlitzohr. Seit diesem Ereignis trage ich im Übrigen keine überdimensionale Ohrringe mehr, die schwer, spitz und metallisch sind und verschenke sie inzwischen an Mädchen, die meine Töchter sein könnten. Crossover-Platten lege ich auch nur noch dann auf, wenn ein immenser Alkoholgenuss mich dazu nötigt. Die Tasche mit den Rockabella-Accessoires, dem Schmuck, den Sonnenbrillen, Buttons und Tüchern, ist mit dem Klimperkram derart schwer beladen, dass ich sie wohl kaum mit dem Fahrrad zu den Kindern transportieren werde. Jedenfalls habe ich jetzt derart viel Platz, dass ich mich jedes Mal erschrecke, wenn ich betreffendes Zimmer betrete.
12. Dezember 2011
boring room
In der fünften Klasse lernte ich von meiner Englischlehrerin Mrs. Westbury, dass die Briten ihr Wohnzimmer mit diesem Begriff betitelten. Irgendwie merkwürdig klang das in meinen Kinderohren, wo doch gerade jenes Zimmer vor allem eines zu sein versprach: Raum für kreative Abende, für ausgedehntes Speisen mit Freunden, den ein oder anderen Rotweinexzess, bei dem die Dielen spontan zur Tanzfläche werden, für Spiele, für das Versinken in Lesewelten und dergleichen. Zum Glück ist mir im Laufe meines Studentinnenlebens mein geschätzter Kommilitone über in Weg gelaufen, der die von mir seit Kindheitstagen gefürchtete Langeweile selbst für mich nachvollziehbar und endlich philosophisch aufzuwerten sich aufmachte. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit in ihr sogar subversive Schichten freizulegen wusste. Chapeau!
Ja, so ist das mit den Heimkehrerinnen von ausgedehnten Nilkreuzfahrten! Dass sie schnell und ohne Durchatmen die nächste Baustelle eröffnen, an die sie all ihre Kräfte, die auch anderswo gut untergebracht wären, heften, um sich nur ja in Bewegung zu halten. Das dialektische Prinzip von Langeweilevertrieb (nicht kaufmännisch konotiert) bei der Entstehung langweiliger Räume, das hat schon was für sich - beinahe charismatisch. Und während ich mich vor lauter Vorfreude fast überschlage, denke ich in Einzelmomenten, aber in einer erstaunlichen Beständigkeit, so bei mir: Alles wird gut. Eine Gemütslage, von der ich lange nicht mehr so deutlich durchdrungen war.
12. November 2011
Überholzwang
Mon Dieu, ich habe Muskelkater an Stellen, die ich niemals meinem Körper zugerechnet hätte. Dass ich mir, brustschwimmend und den Kopf stets über der Wasseroberfläche (ohne hässliche Plastikbrille: eine Beleidigung meiner Ästhetik), auf den 2000m zwischenzeitlich immer wieder ein Wettschwimmen mit einzelnen männlichen Kraulern bieten muss, das zu 50% zu meinen Gunsten ausfällt - Ja, viele Männer kraulen wie adipöse Sechsjährige, wählen dennoch nie eine andere Lage - und dass mich das irgendwie kickt, sie dann lässig einzuholen oder gar zu überholen, zeugt von der Ubiquität eines verbissenen Ehrgeizes, der sich nicht nur auf intellektuelle Gebiete ersteckt. Dass immer Männer angemessene Gegner darstellen, mich der sportliche und geistige Wettstreit mit (den meisten) Frauen eher langweilt, darüber wäre nochmals gesondert nachzudenken...
6. November 2011
Kinematik
Mit dem Fahrrad allein losziehen und mit Burt-Reynolds-Sonnenbrille vom Flohmarkt in der Gegend rumfahren, während Gedanken durch die Blutbahn pulsieren, sich in grauer Gehirnmasse agglutinieren. Von Mitte aus durch die Straßen, die ich wie meine Westentasche kenne, weil ich dort aufwuchs. Vorbei an meinem alten Gymnasium, dann zwei U-Bahnstationen später kurz hinterm Kutschi an der Straße, in dem der beste Freund damals wohnte. Sein Auszug nun fast 12 Jahre her, sein Tod in diesem Herbst bereits zwei. Alles, beinahe jeden Grashalm hier kenne ich. Dort, wo sich die Straße hinter der Endstation in Tegel gabelt, links bleiben und wieder links abbiegen in den orange leuchtenden Wald. Viele Radler sind unterwegs. Nur wenige Menschen zieht es allein in den Wald, zumeist bewegen sie sich paarweise durch das raschelnde Laub. Wenn ein Partner fehlt, läuft ein treuer Vierbeiner bei Fuss.
Ich hingegen bin allein, eine vom Herbststrahlen bewegte Singulärität in ruheloser Bewegung mittels schneller Reifen. Wie sich nichts geändert hat über die Jahre, dieser beständige Bewegungsdrang, der seinerseits einen ungemeinen Rausch des Denkens auslöst. Stockt die Bewegung oder kommt sie gar zum Stillstand: Leere manchmal, das dann Erinnerte nur ein defizitäres Substitut des geistig Unmittelbaren, das nur die Bewegung erschafft. Schon immer war das so, denke ich bei mir. Wie immer werde ich nachher vom Rad heruntersteigen, der Gedankenstrom jeh unterbrochen und werde alles nur halb so formulieren können wie es mir unter dem Eindruck einer Präsenz des Laufes schwerelos möglich ist. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn alles ringsherum dem steten Wandel preisgegeben ist. Viele Orte von früher gibt es noch, ich erkenne sie ohne Anstrengung wieder und frage mich, wie lange das her ist, dass wir im Sommer immer hier an diesen Ort radelten, um auf den See rauszufahren. Fünfzehn Jahre muss das her sein, als mein Vater den Einmaster verkaufte, als wir an einem lauen Sonntagmorgen zum letzten Mal gemeinsam hierher kamen.
Das Auskosten des Gefühls, allein zu sein, ist hingegen eher neueren Datums. Jene permanente Umgebenheit mit anderen, auch mit diesen, die man sehr schätzt und überaus gern hat, die mir im Übrigen früher auch auf engstem Raum (Zelt, WG, Wohnwagen) keine größeren Probleme bereitet hat, ist es, die ich inzwischen regelmäßig unterbrechen muss. Der Spiegelflächen der andern nur solange bedürftig bis diese am Ende der Nacht stumpf werden, das eigene Spiegelbild um die Leuchtkraft gebracht. Dieser entsetzliche Herdentrieb (Nietzsche), jene verbrauchte Luft, die sie hinterlassen, wenn sie zu viert, fünft oder sechst in einem Zimmer schlafend gleichzeitig atmen. (Schon immer froh, dass M., genau wie ich, immer das Fenster nachts öffnet, egal wie kalt es draußen ist).
Hier nun (jetzt retrospektiv), fahrend und nur den eigenen Gedanken überlassen, Fragmente der letzten Nacht wendend. Immer ein Schmunzeln bei der Rückbesinnung auf die eigenen Antworten. Das Wissen ganz allgemein, so pathetisch oder so ähnlich hatte ich von den Mojitos schon erheblich berauscht, erwidert, sei es, was mich immer schon glücklich machte. Viel zu theoretisch befand mein Gesprächpartner, hätte sich wahrscheinlich eher etwas sexuell Konnotiertes erwünscht. Und überhaupt dieses populärphilosophische Schleifenfliegen, diese Thekengespräche, die um Sexualität und Kalkül, um die Ökonomie der Begierden kreisten und die unabänderliche Gewissenheit (und durch Blicke verifizierte Bestätigung), dass das Trinken und provokative Debattieren (manchmal auch Pöbeln) an Berliner Thesen eine atemberaubende Inszenierung der eigenen Vorteile darstellen kann. Eine Vollpräsentation von Schokoladenseiten ohne unterm-Tisch-Versteckspiel, im Gegenteil: fast gänzlich Exposition, körperliche Überpräsenz im Hochstand. Und nur hier kommen 180 Zentimeter im Spitzenkleid zu ihrer vollen Geltung, denn hier werden neben vielerlei Worten die wesentlichen Blicke ausgetauscht.
21. Oktober 2011
Καιρός
Endlich bezwungen von Dir, oh Kairos, bin ich! Und habe, von Deinem Schopfe, den ich gerade noch rechtzeitig ergriff, - zwei Sitzungen hatte ich schon verpasst - mitgerissen, nun endlich dasjenige begonnen, was ich mir seit Jahren vorgenommen habe und zu dem ich nie kam. Seit ich meinen Namen in die Teilnehmerliste eintrug - die Gesichter zwar nicht unwesentlich jünger als meins, einige eindeutig älter, mancher weißhaarig, meine Matrikelnummer jedoch die viertälteste auf der Liste - ist es amtlich: Ich lerne endlich Altgriechisch und zwar zwischen durch Studienordnungen der Altertumswissenschaften und Klassischen Philologien dazu Verpflichteten und einer Handvoll Gasthöher. In raschem Tempo geht es voran, werden Deklinationen und erste Konjugationen abgeprüft, Akzente und Betonungen korrigiert, vorsokratische Lehrsätze vorgetragen und übersetzt. Schnell ist die Sitzung vorbei, das Lernpensum groß, die Studierenden vom Stoff gar erschlagen.
Ganz freiwillig fertige ich zuhause Karteikarten mit neuestem Vokabular an und übe mich im Vortrag der mir noch so unvertrauten Sprache. Eine neue, wieder mal freiwillig auserwählte, intellektuelle Herausforderung, dabei hatte ich geglaubt, alles was zu wissen sei, hätte ich längst abgeschöpft, denke ich mir, während ich jene neuartigen Buchstaben in konzentrierter Schreibschrift mit verkrampften Fingern zwischen die Hilflinien in einem Schreibheft für Erstklässler mit kleinen Verzögerungen zu Papier bringe.
17. September 2011
Wake me up when September ends - oder von der Kälte des Morgens
Über Nacht scheint klamm und heimlich der Herbst durch alle Ritzen gekrochen zu sein. Die Dielen unter den nackten Füßen fühlen sich kälter an als noch gestern. Ein Tuch um den Hals geschlungen und innerlich noch ein wenig zitternd steht der frsich gebrühte Pfefferminztee beim Schreiben aufgeschoebner Mails in meiner Reichweite. Und wieder einmal steht es mir vor Augen, der stille Startschuss ist gefallen. Wie jedes Jahr beginnt nun erneut die Zeit konzentrierter Arbeit, der letzten Schritte zum akademischen Titel, endet die Agilität, das sommerliche Aufbegehren, die Zerstreutheit. Dass ich das letzte halbe Jahr eigens dazu genutzt habe, dem Begehren des Leibes nach Herumtollen auf Rasenflächen zugunsten eines harten Broterwerbs zu opfern, sichert mir nun das Überleben - bei üppigem Leben vier Monate, bei karger Lebensform mindestens ein halbes Jahr. Und all dies theoretisch, ohne einen Finger zu rühren, auf eiserne Reserven zurückzugreifen oder gar ein Bankdarlehen in Anspruch zu nehmen. Dass es eine solche Zeit in meinem Studium je gegeben hat, in der ich weniger als 20 Stunden - meistens 30, zuletzt mindestens 40 - in der Woche gearbeitet hätte, dafür finde ich keine Anhaltspunkte in meiner Erinnerung. Dass ich daher lassen könnte, nebenbei noch etwas gegen Bezahlung zu tun, kann ich mir jetzt noch schwierig vorstellen. Dennoch habe ich alle Aufträge ab November strategisch ausgeschlagen, ermahne mich beim Blick in die Jobbörse des Career Service und tröste mich mit lockenderen Vorstellungen: Ich werde wieder bis die Nächte über Berlin hereinbrechen in Bibliotheken sitzen und all die ebenso lang studierenden Kommilitonen wiedertreffen, die ich im letzten Jahr so sehr vermisst habe, ich werde gleich zwei Squash-Kurse buchen, mich auf den Staffelmarathon auf dem Tempfelhofer Flugfeld vorbereiten, ich werde wieder mehr lesen, zwei hoffentlich drei Bücher die Woche und postmodern verstiegene Essayistik dazwischen. Ich werde mir einen lang gehegten Wunsch erfüllen und endlich Altgriechisch an der Universität lernen, bald darauf die Sophistes im Original lesen können und das Beste daran: Ich werde nur dann arbeiten müssen, wenn das Verlangen nach teurem Luxus es wirklich von mit verlangen sollte und dann selbst mit einem Minijob meine Bedürfnisse stillen können. Mit kindlicher Vorfreude warte ich nun nur noch auf die ersten bunten Blätter.
24. August 2011
On the run
Würde mein Leben verfilmt, dann als Aneinanderreihung von Laufepisoden. Was das Laufen (nicht Joggen) angeht, bin ich nämlich irgendwie besessen, wenn man so sagen kann. Ich liebe es abgöttisch, nahezu manisch, dieses ziellose, aber dynamische Flanieren mit Musik im Ohr. Besonders in warmen Nächten; wie diese eine ist. Da ich, auf dem Arbeitsweg vom Regenschauer kalt erwischt, mein Fahrrad heute morgen am Bahnhof Friedrichstraße genervt stehen ließ und meine Fahrt mit der S-Bahn fortsetzte, kam ich durch einen Umweg über eine Berliner Weiße mit Waldmeister in der Kreuzberger mokkabar zum Feierabend in den Genuß eines unvergleichlichen Sommernachtsspaziergangs. Von dort aus lief ich am prächtigen Jüdischen Museum vorbei zum Gendarmenmarkt, die Nase kurz am Schaufenster der Chocolatiers Fassbender&Rausch (buchstäblich!) plattgedrückt, dann widerwillig losgerissen, an Lutter&Wegener vorbei, gut gefüllt wie eh und je, Unter den Linden gekreuzt. Das Grimm-Zentrum leuchtet, mein Fahrrad habe ich da schon beinahe erreicht, vorwurfsvoll auf mich herab und mahnt mich wie ein zärtlicher Vater, meine akademischen Verpflichtungen ob der sentimentalen Verwirrungen, die dieses Wetter mit sich bringt, nicht allzu sehr zu vernachlässigen. Und überhaupt überall entlang des Weges, den ich zurücklasse, Massen von Menschen, fast lautlos durch die Nacht gleitend. Die bei Kerzenlicht die Köpfe zusammenstecken, lachen, flüstern. Die schwüle Luft rieht nach Motoröl, Hundekot und Pizza. Schweißperlen, die den Rücken hinunterlaufen und trotzdem Gänsehaut bei den alten Springsteen-Platten, die mein Vater an fast dem gleichen Ort in einer anderen Zeit schon hörte. River - I'm on fire - Radio Nowhere. Und noch schwingt die schmeichelhafte Bemerkung eines blinden Kollegen in mir nach, meine eigene, diese viel zu laute, auf dem AB derart verzerrte, manchmal unkontrollierbare Stimme, würde sich ideal für Hörspiele eignen. Auch ein bißchen Stolz und Verlegenheit. Später auf dem Fahrrad dann, nur noch ein minimaler Heimweg vor mir, in großem beschwingten, vielleicht etwas nachttrunkenen Slalom durch die Ackerstraße. Fast so als könne man abheben in den Nachthimmel hinauf. Und während ich dies hier schreibe, feiert die Welt draußen mal wieder ihren nächsten Untergang.
21. August 2011
Der Sommer ist noch lang...
...hofft die Möwendomteuse und hat dabei, den Ostsee-Kontrollettis und 25.000€ Bußgeld für die unerlaubte Fütterung mit durchschwitzter Wurstbemme gerade noch von der Schippe gesprungen, eine alte Platte der Helden im Ohr - die Repeat-Taste den ganzen Tag eingerastet:
Vielleicht wärst du Seetang
Ich wäre Krill
Wir wären der Seegang
Und dann wären wir still
Über uns Möwen
Hungrig und schrill
Aber uns wär egal
Ob die Möwe was will
Soll sie doch fragen: „Wo sind sie hin?“
Ich werd niemandem sagen, wo ich bin
Lass uns verschwinden, lass uns verschwinden
Wir lösen uns auf, wir lösen uns auf
Lass uns verschwinden, lass uns verschwinden
Wir lösen uns auf, da kommt keiner drauf
30. Juli 2011
Feels like end of summer
Draußen
*Dauerregen und eine novembereske Gräue
*eine kurze Regenpause genutzt und mit Robert Ullrey im Ohr (Danke an Caro!) ein paar Runden im Weinbergspark gedreht. Für den ernsthaften Wiedereinstieg nach einem halben Jahr Abstinenz größenwahnsinnig gleich mit Podcast Week 9 angefangen, eine halbe Stunde relativ zügig durchgerannt, nichts bereut, sogar erstaunt gewesen, dass es sich hier direkt vor der Tür so gut rennen lässt und beschlossen selbiges jetzt auch mal ganz früh vor der Arbeit auszuprobieren.
*nur ein paar Kids in quietschbunten Gummistiefeln und ein paar Hundebesitzer im Park gesichtet, sonst nur beimitleidenswerte Touristen, denen man während ihres Aufenthalts in der Hauptstadt besseres Wetter gegönnt hatte
Drinnen
*heiße Zitrone, Kaffee und literweise Pfefferminztee, Honig-Ingwer-Möhrensuppe und Naturjoghurt mit Erdbeeren und Haferflocken
*eine warme Dusche nach dem Lauf
*seit dem frühen Morgen dann konzentrierte Lektüre des Benjamin und Verwunderung über die eigensinnige und äußerst unorthodoxe Kulturanalyse, mit der der beharrliche Leser, hat er die behäbige Einleitung, von einem historisch-dialektischen Materialismus triefend, erst überstanden, im Folgendem reich belohnt wird
Innendrin
*kreatives Gedankenchaos und wieder ein bißchen Zuversicht, dass das alles doch noch irgendwie zu schaffen ist
*sehnsuchtsvolle Erinnerung an einen herrlichen Sommerabend am Pfingstwochenende
26. Juli 2011
Freie Tage, vol. 1
Voilà, der schikanöseste Abwasch der letzten Wochen wäre geschafft, die wolkenkratzerhohen Tellerberge mühsam bewältigt. Und ganz nebenbei klingelt DHL an der Haustür und bringt den gradiosesten, sündhaft teuersten Wintermantel, den ich je besessen habe. Schon beim Bestellvorgang: Schwindelerregende Benommenheit als der Preis schwarz auf weiß nochmals zu sehen war, doch tapfer weitergeklickt. Aus dem unterbewussten Off folgen auf dem Fuße Gewissensqualen im altbekannten Kaufsuchtsblues-Modus.
Jetzt noch hurtig durch zwei, drei Artikel der ZEIT gefegt, sonst wäre diese auch umsonst gekauft, dann höchst konzentrierte und messerscharfe Walter-Benjamin-Lektüre, kurze Laufrunde durch den Park bei vorhergesagtem Sonnenschein - schon allein, weil die verehrte Kaltmamsell meinen Bewegungshunger durch ihre sehnsuchtsvolle Illustration eines Parkläuferinnenidylls heute morgen so richtig angefeuert hat, quel pittoresque! Danach Kuchen backen für H., schließlich, wenn sich die Dämmerung über die Straßen von Mitte legt, Stammkneipe.
Die Tagesbegleitung: Bedrohlich starker Kaffee, Apfelmus und Erdbeerkompott für den motivarischen Aspekt.
24. Juli 2011
What's (y)our age again?
Samstagnacht, kurz vor halb eins. Eigentlich sollten wir irgendwo einen Drink zu uns nehmen, ein kleines bißchen die Kontrolle verlieren, später irgendwo wild tanzen. Wir müssten dazu nur vor die Tür gehen, gar nicht weit fahren. Stattdessen laufen wir wie von LSD-Taranteln gestochen um den heimischen Couchtisch und spielen Fangen, mal in Slowmo, mal mit richtig Tempo. Damit könnten wir uns wahrscheinlich noch stundenlang beschäftigen, bis die Sonne über Berlin aufgeht. Dass M. dieses Jahr noch dreißig wird und ich ihm schneller folgen werde als mir lieb ist - so wie die Jahre momentan rasen -, bleibt äußerst fragwürdig bei genauerer Analyse unserer Abendgestaltung.
23. Juli 2011
Weg vom Nikotin: Me, running
Ein Jahr ist es nun her, seit ich dem blauen Dunst - bei meiner Suchtaffinität bleibt zu hoffen endgültig - abgeschworen habe. Dass den Freunden die neue Lebensweise zunächst und teilweise bis heute nicht aufgefallen ist, beleuchtet die gesellschaftliche Belanglosigkeit jener Selbstdisziplinierung, die bei mir keineswegs in Gestalt einer langen Leidenserfahrung daherkam. Seitdem jedenfalls strafe ich stinkende Kippen mit überheblicher Mißachtung, setze den Fuß nicht mehr gleicher Leidenschaft in Raucherkneipen, wasche und bürste mich zumindest vom Scheitel bis zur Sohle, wenn mich eben jene Etablissments nächtens, mit Penetranz aus den Poren miefend, wieder ausspucken. Mit dem bissigen Geruch, der von Haut und Haar her strömt, kann ich nämlich heutzutage nicht mehr einschlafen.
Insgesamt ein Jahr, das sich viel weniger als Zerreißprobe darbot, so wie ich es in meinen kühnsten Horrorphantasien angenommen hatte. Ein Jahr, in dem ich mich außerordentlich tüchtig bewegt habe. Am intensivsten natürlich nach der unmittelbaren Entledigung des Lasters, also im (Spät-)sommer und Herbst 2010. Ja, einen Heidenschiss hatte ich vor dem Zunehmen, das die meisten Abstinenzler heimsucht! In meiner Vorstellungswelt führt 'dick sein' nämlich konsequent hinter 'dumm sein' die Liste der unerträglichen Lebensplagen an. Und so lief ich mit den denkbar schlechtesten Billiglaufschuhen an den Füßen, da ich meine extreme Flatterhaftigkeit zunächst auf eine Probe der Kontinuität stellen musste, bei Wind und Wetter durch den Park bis der schneereiche Dezember vor der Tür stand. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich die 10 km schon deutlich unter 50 Minuten laufen. Dann kam der Winter und die stressige Vorbereitung der Magisterabschlussprüfungen forderte, auch wenn ich die Bewegung nie gänzlich aufgab - ich schwamm weiterhin, spielte einmal die Woche Squash und fuhr den täglichen Arbeitsweg (Strecke: 16 km) mit dem Rad - ihren Tribut. Das Laufen habe ich trotz Halbmarathonplanung leider seitdem nicht nur vernachlässigt, sondern gänzlich aus den Augen verloren. Ich befürchte gar, die 10 km würden mich momentan ganz bestimmt mehr als eine ganze Stunde kosten, denn leider ist mir das Laufen von jeher, ganz im Gegensatz zum Schwimmen und Radfahren etwa, am Anfang stets eine richtige Herausforderung gewesen. Wahrlich, ein beständiges Malträtieren meinerselbst, fühlt es sich in der Eingewöhnungsphase doch ganz und gar unnatürlich an und erweist sich von außen in diesen ersten Wochen ganz bestimmt nicht als sportive Augenweide. Mein Liebster läuft übrigens ohne sichtliche Kraftanstrengung auch nach längster Abstinenz wie ein junger Gott, während ich wie ein brodelnder Dampfkessel hinterherkriechen müsste, würden wir zusammen unsere Runden drehen. Dabei ist das zeitliche Durchhalten weniger ein Problem. Selbst untrainiert kann ich dank guter Grundkondition locker mindestens 30 Minuten am Stück laufen ohne zwischendurch verschnaufen zu müssen. Doch die eigentümliche Selbsterfahrung, das Keuchen, das gelegentliche Stolpern, das Vorankriechen. Das kann doch nicht im Ernst alles an schlechten Laufschuhen liegen?! Allen Unwägbarkeiten zum Trotz, ist es nun an der Zeit, erneut zu beginnen, finde ich. Diesmal mit guten Schuhen und einer Laufbandanalyse und ohne Ipod, der lenkt mich mit seiner Taktvorgabe nur ab. Jahr 2 verlangt nach neuen, ernstzunehmenden Ritualen und außerdem sehen nach ein paar Wochen regelmäßigen Laufens meine Beine in Pumps und Stiefeln einfach exzellent athletisch aus.
Insgesamt ein Jahr, das sich viel weniger als Zerreißprobe darbot, so wie ich es in meinen kühnsten Horrorphantasien angenommen hatte. Ein Jahr, in dem ich mich außerordentlich tüchtig bewegt habe. Am intensivsten natürlich nach der unmittelbaren Entledigung des Lasters, also im (Spät-)sommer und Herbst 2010. Ja, einen Heidenschiss hatte ich vor dem Zunehmen, das die meisten Abstinenzler heimsucht! In meiner Vorstellungswelt führt 'dick sein' nämlich konsequent hinter 'dumm sein' die Liste der unerträglichen Lebensplagen an. Und so lief ich mit den denkbar schlechtesten Billiglaufschuhen an den Füßen, da ich meine extreme Flatterhaftigkeit zunächst auf eine Probe der Kontinuität stellen musste, bei Wind und Wetter durch den Park bis der schneereiche Dezember vor der Tür stand. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich die 10 km schon deutlich unter 50 Minuten laufen. Dann kam der Winter und die stressige Vorbereitung der Magisterabschlussprüfungen forderte, auch wenn ich die Bewegung nie gänzlich aufgab - ich schwamm weiterhin, spielte einmal die Woche Squash und fuhr den täglichen Arbeitsweg (Strecke: 16 km) mit dem Rad - ihren Tribut. Das Laufen habe ich trotz Halbmarathonplanung leider seitdem nicht nur vernachlässigt, sondern gänzlich aus den Augen verloren. Ich befürchte gar, die 10 km würden mich momentan ganz bestimmt mehr als eine ganze Stunde kosten, denn leider ist mir das Laufen von jeher, ganz im Gegensatz zum Schwimmen und Radfahren etwa, am Anfang stets eine richtige Herausforderung gewesen. Wahrlich, ein beständiges Malträtieren meinerselbst, fühlt es sich in der Eingewöhnungsphase doch ganz und gar unnatürlich an und erweist sich von außen in diesen ersten Wochen ganz bestimmt nicht als sportive Augenweide. Mein Liebster läuft übrigens ohne sichtliche Kraftanstrengung auch nach längster Abstinenz wie ein junger Gott, während ich wie ein brodelnder Dampfkessel hinterherkriechen müsste, würden wir zusammen unsere Runden drehen. Dabei ist das zeitliche Durchhalten weniger ein Problem. Selbst untrainiert kann ich dank guter Grundkondition locker mindestens 30 Minuten am Stück laufen ohne zwischendurch verschnaufen zu müssen. Doch die eigentümliche Selbsterfahrung, das Keuchen, das gelegentliche Stolpern, das Vorankriechen. Das kann doch nicht im Ernst alles an schlechten Laufschuhen liegen?! Allen Unwägbarkeiten zum Trotz, ist es nun an der Zeit, erneut zu beginnen, finde ich. Diesmal mit guten Schuhen und einer Laufbandanalyse und ohne Ipod, der lenkt mich mit seiner Taktvorgabe nur ab. Jahr 2 verlangt nach neuen, ernstzunehmenden Ritualen und außerdem sehen nach ein paar Wochen regelmäßigen Laufens meine Beine in Pumps und Stiefeln einfach exzellent athletisch aus.
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