30. September 2010

Unser Wunsch



Wie das wohl gewesen sein muss als ihr so alt wart wie wir jetzt sind? Wie ihr euch wohl gefühlt habt? Ob euch manchmal nachts die Angst überkam, ihr könntet später einmal keine Arbeit finden, nicht mehr eigenständig für euren Lebensunterhalt aufkommen und dabei Stück für Stück eurer Unabhängigkeit einbüßen? Ob ihr euch manchmal gefragt habt, was all das ganze Studieren genutzt hat, die Mühe, die Perfektion, das nächtliche Lesen, die Engelsgeduld, die zahlreichen Diskussionen, das Eintauchen in kaleidoskopartige Gedankenwelten, die Aufregung vor Vorträgen, das unübertreffliche Gefühl, wenn die letzten Worte langer Texte geschrieben waren? Erinnert ihr euch vielleicht an das Gefühl, von innerer Neugier überwältigt, vor Leidenschaft und Durst nach Wissen fast verbrannt zu sein? All diese kleinen Erfolgserlebnisse, die Früchte vieler gedankenschwangerer Nächte, von den vollgeschriebenen Seiten ganz zu schweigen? Ich könnte sie bis an die Decke stapeln.
Und irgendwann wird uns der Schlussstrich unter diese Zeit gezogen und von all diesen Jahren bleibt ein Wisch zurück, der uns und euch bescheinigt, dass ihr auf einen gewissen Grad geistiger sowie individueller Entwicklung vertrauen könnt, dass wir innerlich wie äußerlich herangereift sind, uns spätestens nun eine selbständige Persönlichkeit auszeichnet. Wir werden ausgegossen in die Welt, fahren die Ellenbogen aus, die wir wenig trainiert haben, und die unsere Suche nach ein klein wenig Anerkennung beginnt. Manchmal verlängert sich unsere Schonfrist hinter den Büchern. Wir überlegen, ob wir einfach erleichert aufatmen oder langsam darüber verzweifeln sollten, weil sich mit einem Stipendium zu promovieren einfach nicht wie Erwachsenwerden anfühlen will. Manchmal aber landen wir in den Warteschlagen oder kafkaesken grauen Fluren, in Arbeitsmaßnahmen und unbezahlten Praktika. Werden immer und immer wieder hinter Kopierern und zwischen Kaffeemaschinen zusammengepfercht. Unsere Abschlüsse tragen Einsen vor dem Komma, wir sprechen fließend Französisch, Spanisch oder Chinesisch, Englisch sowieso. Wir haben die Phänomenologie Hegels auswendig auf dem Kasten, haben uns neben zwei Jobs ehrenamtlich engagiert, treiben regelmäßig Sport, haben auf Konferenzen neben in eurer Gewichtsklasse rotwangig vor Aufregung Paper verlesen und Applaus geerntet. Uns ist Begabtenförderung angetragen worden und allzu oft haben wir für ein paar Tantiemen, heimlich und zumeist in einem Dankeswort unerwähnt, die gröbsten logischen Schnitzer aus den Publikationen unserer Professoren getilgt – dabei sozusagen in unsere Zukunft investiert - und uns hinter ihrem Rücken über derart akademische Unzulänglichkeit lustig gemacht und trotzdem neidvoll anerkennen müssen, dass viele existenzielle Fragen sie wie euch anders betroffen haben als sie uns betreffen. Denn kaum haben wir unsere kleine heile Humboldt’sche Welt verlassen, ist auch unser Welpenschutz dahin.
Wie wird das sein, vielleicht keinen festen und sicheren Arbeitsplatz haben zu werden und trotzdem dem Leben alles abringen zu wollen: zu reisen, Kinder großzuziehen oder gar auszuwandern? Und was uns noch mehr bewegt als all diese finanziellen Dinge: Wie wird das sein, wenn sich herausstellen sollte, dass ihr uns gar nicht mehr gebrauchen könnt? Dass die Arbeitswelt auch ohne unsere Mitwirkung fleißig weiter um ihre eigene Achse rotiert? Stellt euch vor, wir hätten keinen Platz in eurer Welt? Oder besser zwangsempathisch: Ihr hättet nie einen Platz gehabt, würdet nicht gebraucht werden? Gesamtgesellschaftlich wäre es dann unter diesen Umständen dann völlig irrelevant gewesen, was ihr gelernt, woran ihr glaubt, was ihr euch wünscht!
Habt ihr manchmal geglaubt ihr könntet alles schaffen?
Wir selbst haben es uns immer wieder laut vorgesagt, uns gegenseitig zur Hoffnung angestachelt oder einfach weiter gemacht. Und auch wenn uns manchmal der Glaube daran verlässt, halten wir insgeheim an unserem Wunsch fest, dass ihr uns so brauchen könnt wie wir sind und wir dies alles nicht nur für uns selbst hinter uns gebracht haben.
Danke Lotte für das inspirierende Gespräch!

28. September 2010

Die Bürde erster Falten


Ich hätte schwören können, dass sie vor kurzem noch nicht da waren, diese kleinen linientreuen Biester, die sich seit Neuestem in illustrig-trauter Runde unter meinen Augen versammelt haben. Ich erkenne sie nun, von noch so kleinen Flächen reflektiert, in Brillengläsern, Barspiegeln oder Schaufenstern. Besonders schmerzlich für mich, entdecke ich sie immer öfter auch in den Blicken und zwischen den Bemerkungen meiner Freundinnen. Ich bin die Erste und, was besonders erschreckend ist, eine der Jüngsten, in deren Gesicht sie sich zeigen. Natürlich habe ich, wie keine von uns, je eine Zigarette oder durchzechte Nacht  ausgeschlagen. Jedoch, was mich wundert, zeigen sie sich nun als die Spuren einer Zeit, in der ich sehr viel gelacht habe, fröhlich war. Eine Zeit geradezu, die die Ereignisse des letzten Jahres scheinbar unter sich begraben haben. Verfolgt also von der in mir rumorenden Frage, ob ich wirklich so schnell altere, gealtert, dem allmählichen Verfall preisgegeben bin, sollten sie letztendlich sogar diejenigen Narben sein, die sich schleichend über meiner großen Wunde gebildet haben? Diese zart zugedeckt haben, ohne sie je ganz schließen zu können? Was sich fast lyrisch in mir Bahn bricht, wittert beunruhigt unter der Oberflächenerscheinung längst ein Symptom der Tiefen: Dass nämlich die harmlosen Linien vielleicht doch mehr ein tiefer Graben zwischen dem Vergangenen und dem noch Unbekannten sein könnten, das sich Erwachsenwerden und Loslassen nennt…

27. September 2010

Le vasistas oder die Kuriosität des Fragens

Der Sprache das Befragen der Dinge ablesen und manchmal der Schöpfung ihrer Worte unmittelbar beiwohnen können...1798 erstmalig in einem französischen Wörterbuch Einzug haltend, verdeutlicht der Begriff vasistas das eigenartige Offenhalten der Situation menschlichen Wunderns über das Phänomen Welt. Französische maîtres de maisons, von verblüfften deutschen Besuchern nach in deren Landen architektonisch (noch) unbekannten Oberlichtern befragt, nahmen deren "Was ist das?" dermaßen ernst, dass sie ihm vielleicht mit einem Augenzwickern - als wesensmäßiger Ausdruck einer offensichtlichen Unwissenheit ihrer Gäste - einen dauerhaften Stammplatz in ihrer Sprache einrichteten.
Ich werde dieses Wort bei meinen nächsten vacances à Paris, vielleicht auch nur zur Verwirrung meiner französischen Mitmenschen, in jedem Gespräch mindestens einmal benutzen, habe ich mir fest vorgenommen.

26. September 2010

25. September 2010

Welcome to the rainy roads of Zombieland!

Mich wundert heute gar nichts mehr...Ich wäre kein bißchen erstaunt darüber, wenn sich die ganzen Wesen vor mir in der Supermarktschlange plötzlich dazu entschlössen, ihre menschlichen Körperhüllen endlich abzuwerfen, um die sie steuernden Mini-Aliens darunter preiszugeben. Todesmutig habe ich mich zwischen diesen Androiden dennoch bis zur Kasse vorgearbeitet und nenne nun drei Tüten Haribo Heldenbeute mein Eigen. Bestaunt von den Bundesligazombies, den auf Holzbänken im Regen stoisch sitzenden, und gleichermaßen gefürchtet, habe ich mich, mein zum Triumph angestimmtes chanson de geste im Mundwinkel lässig lallend, erneut auf meinen Berg zurückgezogen.

24. September 2010

Kein Weg. Nirgends.

Das haben viele Entscheidungen so an sich, das sie oft schwerlich widerrufen lassen...Einmal aufgebrochen, auf einem Weg wandelnd, der aus der Ferne so vielversprechend sich ausnahm, versackte die Dreckskiste Leben im Schlamm und nun drehen die Reifen durch. Im Angesicht des sterbenden Sommers tue ich behelfsmäßig Dinge, um nicht in lähmende Lethargie zu verfallen und bedenke die Alternativen, an denen ich bisher vorbeirauschte, die an mir vorbeizogen und bekomme doch dasjenige selbst gewählte Schicksal nur mühsam zu packen...Komischer Tag, broken thoughts, nebulöse Müdigkeit und dumpfer Kopfschmerz ausgegossen über hunderte Seiten Mythostheorie.