Wie das wohl gewesen sein muss als ihr so alt wart wie wir jetzt sind? Wie ihr euch wohl gefühlt habt? Ob euch manchmal nachts die Angst überkam, ihr könntet später einmal keine Arbeit finden, nicht mehr eigenständig für euren Lebensunterhalt aufkommen und dabei Stück für Stück eurer Unabhängigkeit einbüßen? Ob ihr euch manchmal gefragt habt, was all das ganze Studieren genutzt hat, die Mühe, die Perfektion, das nächtliche Lesen, die Engelsgeduld, die zahlreichen Diskussionen, das Eintauchen in kaleidoskopartige Gedankenwelten, die Aufregung vor Vorträgen, das unübertreffliche Gefühl, wenn die letzten Worte langer Texte geschrieben waren? Erinnert ihr euch vielleicht an das Gefühl, von innerer Neugier überwältigt, vor Leidenschaft und Durst nach Wissen fast verbrannt zu sein? All diese kleinen Erfolgserlebnisse, die Früchte vieler gedankenschwangerer Nächte, von den vollgeschriebenen Seiten ganz zu schweigen? Ich könnte sie bis an die Decke stapeln.
Und irgendwann wird uns der Schlussstrich unter diese Zeit gezogen und von all diesen Jahren bleibt ein Wisch zurück, der uns und euch bescheinigt, dass ihr auf einen gewissen Grad geistiger sowie individueller Entwicklung vertrauen könnt, dass wir innerlich wie äußerlich herangereift sind, uns spätestens nun eine selbständige Persönlichkeit auszeichnet. Wir werden ausgegossen in die Welt, fahren die Ellenbogen aus, die wir wenig trainiert haben, und die unsere Suche nach ein klein wenig Anerkennung beginnt. Manchmal verlängert sich unsere Schonfrist hinter den Büchern. Wir überlegen, ob wir einfach erleichert aufatmen oder langsam darüber verzweifeln sollten, weil sich mit einem Stipendium zu promovieren einfach nicht wie Erwachsenwerden anfühlen will. Manchmal aber landen wir in den Warteschlagen oder kafkaesken grauen Fluren, in Arbeitsmaßnahmen und unbezahlten Praktika. Werden immer und immer wieder hinter Kopierern und zwischen Kaffeemaschinen zusammengepfercht. Unsere Abschlüsse tragen Einsen vor dem Komma, wir sprechen fließend Französisch, Spanisch oder Chinesisch, Englisch sowieso. Wir haben die Phänomenologie Hegels auswendig auf dem Kasten, haben uns neben zwei Jobs ehrenamtlich engagiert, treiben regelmäßig Sport, haben auf Konferenzen neben in eurer Gewichtsklasse rotwangig vor Aufregung Paper verlesen und Applaus geerntet. Uns ist Begabtenförderung angetragen worden und allzu oft haben wir für ein paar Tantiemen, heimlich und zumeist in einem Dankeswort unerwähnt, die gröbsten logischen Schnitzer aus den Publikationen unserer Professoren getilgt – dabei sozusagen in unsere Zukunft investiert - und uns hinter ihrem Rücken über derart akademische Unzulänglichkeit lustig gemacht und trotzdem neidvoll anerkennen müssen, dass viele existenzielle Fragen sie wie euch anders betroffen haben als sie uns betreffen. Denn kaum haben wir unsere kleine heile Humboldt’sche Welt verlassen, ist auch unser Welpenschutz dahin.
Wie wird das sein, vielleicht keinen festen und sicheren Arbeitsplatz haben zu werden und trotzdem dem Leben alles abringen zu wollen: zu reisen, Kinder großzuziehen oder gar auszuwandern? Und was uns noch mehr bewegt als all diese finanziellen Dinge: Wie wird das sein, wenn sich herausstellen sollte, dass ihr uns gar nicht mehr gebrauchen könnt? Dass die Arbeitswelt auch ohne unsere Mitwirkung fleißig weiter um ihre eigene Achse rotiert? Stellt euch vor, wir hätten keinen Platz in eurer Welt? Oder besser zwangsempathisch: Ihr hättet nie einen Platz gehabt, würdet nicht gebraucht werden? Gesamtgesellschaftlich wäre es dann unter diesen Umständen dann völlig irrelevant gewesen, was ihr gelernt, woran ihr glaubt, was ihr euch wünscht!
Habt ihr manchmal geglaubt ihr könntet alles schaffen?
Wir selbst haben es uns immer wieder laut vorgesagt, uns gegenseitig zur Hoffnung angestachelt oder einfach weiter gemacht. Und auch wenn uns manchmal der Glaube daran verlässt, halten wir insgeheim an unserem Wunsch fest, dass ihr uns so brauchen könnt wie wir sind und wir dies alles nicht nur für uns selbst hinter uns gebracht haben.