Das Thermometer kratzt haarscharf an der 20°-Marke. Der Himmel ist von einem solchem spätsommerlichen, einem frühherbstlichen Azur, auf dem weiße Wolken dahinschwimmen. Heute bin ich die Zweite in der Schlange vor dem Freibad Humboldthain. Vor mir eine Schwimmerin, die ich hier öfter treffe, immer um die gleiche Uhrzeit. Die ich wegen ihres kraftvollen Delfinschwimmens und ihres technisch saubersten Kraulens still bewundere. Als Erste - den Bikini habe ich nämlich immer schon unter der Kleidung und spare mir dadurch den Gang in die Garderobe - ziehe im Becken meine Bahnen und wirbele das vom Wind zart gekräuselte Wasser durcheinander, denke dabei kurzzeitig an Merleau-Pontys Meditationen über Hockney und schon packt mich der Flow, löse ich mich ganz in der Bewegung auf, atme tief. Der ganze Körper eine Oszillation der Bewegung, ein Wechselspiel von Spannung und Entspannung. Die kinästhetische Monotonie nur zeitweilig unterbrochen von kuriosen Fragen, beispielsweise warum soviele der Bloggerinnen, deren Leben ich regelmäßig lesend verfolge, eindeutig dazu neigen, ihre Füße zu einem präferierten Motiv ihrer über soziale Netzwerke veröffentlichten Fotos zu machen (hier, hier, hier, hier und auch hier). Bei 1500m falle ich durch die Gleichmäßigkeit der Bewegung - ich schwimme immer ohne Pause, in gleichbleibender Frequenz und Lage - regelmäßig in einen derart meditativen Zustand, dass es mich nicht wundern würde, wenn die Weltenformel mir plötzlich zufiele. Gelingt es mir zu diesem Zeitpunkt hingegen über 500m Brust schwimmend mit einem schnellen Krauler mitzuhalten, der mir vor der Seitenwende verwundert Blicke herüberwirft, gerate ich in Hinblick auf den sportlichen Wettbewerb zwischen uns sogar nahezu in einen Zustand der Ekstase.
Folgt man den Kritikern der Olympischen Spiele in ihren (jenseits von Argumenten, die die Kommerzialisierung des Sports betreffen) geltend gemachten Punkten, nimmt man die Paradigmen unserer Pädagogik (insbesondere der (Klein-)Kindpädagogik), zudem die Programmatik moderner Politik unter die Lupe, die aus Angst vor gesellschaftlicher Spaltung durch die Bekräftigung von Diversitäten lieber auf Ausgleich und Nivellierung setzt, reflektiert man darüberhinaus das in unser Gesellschaft verankerte Frauenbild, demnach Frauen zwar in pucto körperlicher Ästhetik eifrig konkurrieren dürfen, das gegenseitige Messen sich jedoch keinesfalls, das sage ich aus persönlicher Erfahrung, auf das Terrain von Wissen, Spiel, Laien- und Extremsport ausbreiten soll, ist der Wettbewerb zwischen Individuen, der auf kontinuierlicher Leistung(ssteigerung) beruht, per se des Teufels. Ich, für meinen Teil, habe unter Bedingungen des Wettbewerbs, im Messen der Kräfte, immer gute bis sehr gute Leistungen gezeigt, dabei einen starken und auch befriedigenden Antrieb entwickelt, der ohne die Hintergrundsituation des Kräftemessen nicht entstanden wäre, und konnte so das ganze Gezeter um die Anstachelung zu Feindseeligkeiten und die böse, menschenzerfleischende Konkurrenzsituation noch nie ganz nachvollziehen. Ja, und zugegeben, ich bin schon immer in eine innere Hochstimmung geraten, wenn ein Duell zu meinen Gunsten ausfiel. Ich gehöre demenstprechend auch zu den eher (sehr) schlechten Verlierern, denen Niederlagen und Unterlegensein verhasst sind.
Als ich nach 2500m und 60 Minuten aus dem Becken steige, fühle ich mich als körperlich-geistige Einheit jedenfalls mehr als erfrischt.