8. Oktober 2011

Die Krankheit zum Tode

Der Herbst trifft mich mit einem Schlag. Die frische, regengesättigte Luft macht den Kopf frei und das Herz ungleich schwerer. Den ersten Schnupfen des Jahres hat sie mir auch beschert. Heute beim Zusammenkramen der letzten Belege für die Steuererklärung 2010 fiel sie mir seit langer Zeit mal wieder in die Hand, die Einladung zu Deiner Beerdigung am 12.11.2009, darin ein paar Fotos verstaut, auf denen Du allesamt lächelst. Anders und ganz verwandelt ist diese Bindung zwischen mir und Dir heute, ganz und gar innerlich, still und allgegenwärtig. In drei Wochen jährt sich der Tag Deines Todes zum zweiten Mal, Deine Mom sprach es mir mit brüchiger Stimme vorhin aufs Band - als könnte ich das vergessen. Doch dieses Jahr wird es alles ein bißchen anders sein, denke ich, während ich Äpfel aus dem Garten meines Opas stückele, dieses Jahr werde ich an der Kaffeetafel der Großeltern sitzen, vor einer riesigen Geburtstagtorte hoffentlich. In drei Wochen vor 75 Jahren kam mein geliebter Opa, der Empfänger der Torte, zur Welt. "Ja, man muss auch die Lebenden feiern", sagt M., dem ich von den Geburtstagsplänen, der unglücklichen Überschneidung und meinen Gewissensbissen erzähle, gerade zur Tür hereingekommen. Und ein bißchen klingen noch die philosophischen Gespräche der Nacht nach; wie wir alle dem Tod preisgegeben - ein Dasein zum Tode - in der Intensität der Lebensvollzüge beginnen eigentlich zu leben. All jenem hast Du die kalte Schulter gezeigt. Dein Tod, die absolute Entschlossenheit zwar, nicht aber zum Leben, sondern zum Zerfall. Die Unterbrechung jener Vollzüge.