Herbst 1989. Mauerfall. 22 Jahre her, das.
Im selben Jahr, nur ein halbes Jahr zuvor, verließen meine Eltern mit ihrer fünfjährigen Tochter (ich) auf illegalem Weg über die Tschechoslowakei und Ungarn die DDR. Nach vier abgewiesenen Ausreiseanträgen und politischen Schikanen war ihnen das Leben in unfreiwilliger Gefangenheit in einem Land, mit dem sie sich nicht die Spur (mehr) identifizierten, zu einer untragbaren Last geworden, aus dem sie nur einen Ausweg sahen, schließlich den Entschluss zur Republikflucht fassten. Drei kleine Körnchen in einem entfesselten Flüchtlingsstrom waren wir. Drei Flüchtlinge von tausenden in den Bettenlagern des Roten Kreuzes in Budapest.
Im Sommer des nämlichen Jahres wurde ich sechs Jahre alt und auf der anderen Seite der Mauer in Berlin-West eingeschult. Erst jetzt wird mir klar, dass mein Vater kurz darauf und nur wenige Tage vor dem historischen Ereignis, Freunde und Familie auf der anderen Seite der Welt, 30 Jahre alt geworden ist.Wie sie sich wohl gefühlt haben, die beiden, und wie mutig diese Entscheidung in all ihrer Radikalität und Konsequenz, alles hinter sich zu lassen, doch gewesen ist, wird mir jetzt erst bewusst. Heute, wo ich selbst in einem Teil der Stadt wohne, der früher (noch 1989) zu einem anderen Land gehörte, steht mir auch die Tragweite ihrer Entscheidung vor Augen. Ein wenig stolz und heute sehr bewegt bin ich von dieser, jenes Wagnis der Freiheit auf sich genommen zu haben (pathetisch formuliert). Am von-Matt-Haus vorbeilaufend, um kurz danach in die eigene Haustür abzubiegen, finde ich an dem Entschluss nicht nur etwas ungeheur Risikobereites, sondern fast schon etwas Visionäres. Und auch heute bin ich mir ganz sicher, beide haben sie bei allen anfänglichen Schwierigkeiten diesen Schritt nie bereut.
Menschlicher Wille kann alles versetzen.