Mit dem Fahrrad allein losziehen und mit Burt-Reynolds-Sonnenbrille vom Flohmarkt in der Gegend rumfahren, während Gedanken durch die Blutbahn pulsieren, sich in grauer Gehirnmasse agglutinieren. Von Mitte aus durch die Straßen, die ich wie meine Westentasche kenne, weil ich dort aufwuchs. Vorbei an meinem alten Gymnasium, dann zwei U-Bahnstationen später kurz hinterm Kutschi an der Straße, in dem der beste Freund damals wohnte. Sein Auszug nun fast 12 Jahre her, sein Tod in diesem Herbst bereits zwei. Alles, beinahe jeden Grashalm hier kenne ich. Dort, wo sich die Straße hinter der Endstation in Tegel gabelt, links bleiben und wieder links abbiegen in den orange leuchtenden Wald. Viele Radler sind unterwegs. Nur wenige Menschen zieht es allein in den Wald, zumeist bewegen sie sich paarweise durch das raschelnde Laub. Wenn ein Partner fehlt, läuft ein treuer Vierbeiner bei Fuss.
Ich hingegen bin allein, eine vom Herbststrahlen bewegte Singulärität in ruheloser Bewegung mittels schneller Reifen. Wie sich nichts geändert hat über die Jahre, dieser beständige Bewegungsdrang, der seinerseits einen ungemeinen Rausch des Denkens auslöst. Stockt die Bewegung oder kommt sie gar zum Stillstand: Leere manchmal, das dann Erinnerte nur ein defizitäres Substitut des geistig Unmittelbaren, das nur die Bewegung erschafft. Schon immer war das so, denke ich bei mir. Wie immer werde ich nachher vom Rad heruntersteigen, der Gedankenstrom jeh unterbrochen und werde alles nur halb so formulieren können wie es mir unter dem Eindruck einer Präsenz des Laufes schwerelos möglich ist. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn alles ringsherum dem steten Wandel preisgegeben ist. Viele Orte von früher gibt es noch, ich erkenne sie ohne Anstrengung wieder und frage mich, wie lange das her ist, dass wir im Sommer immer hier an diesen Ort radelten, um auf den See rauszufahren. Fünfzehn Jahre muss das her sein, als mein Vater den Einmaster verkaufte, als wir an einem lauen Sonntagmorgen zum letzten Mal gemeinsam hierher kamen.
Das Auskosten des Gefühls, allein zu sein, ist hingegen eher neueren Datums. Jene permanente Umgebenheit mit anderen, auch mit diesen, die man sehr schätzt und überaus gern hat, die mir im Übrigen früher auch auf engstem Raum (Zelt, WG, Wohnwagen) keine größeren Probleme bereitet hat, ist es, die ich inzwischen regelmäßig unterbrechen muss. Der Spiegelflächen der andern nur solange bedürftig bis diese am Ende der Nacht stumpf werden, das eigene Spiegelbild um die Leuchtkraft gebracht. Dieser entsetzliche Herdentrieb (Nietzsche), jene verbrauchte Luft, die sie hinterlassen, wenn sie zu viert, fünft oder sechst in einem Zimmer schlafend gleichzeitig atmen. (Schon immer froh, dass M., genau wie ich, immer das Fenster nachts öffnet, egal wie kalt es draußen ist).
Hier nun (jetzt retrospektiv), fahrend und nur den eigenen Gedanken überlassen, Fragmente der letzten Nacht wendend. Immer ein Schmunzeln bei der Rückbesinnung auf die eigenen Antworten. Das Wissen ganz allgemein, so pathetisch oder so ähnlich hatte ich von den Mojitos schon erheblich berauscht, erwidert, sei es, was mich immer schon glücklich machte. Viel zu theoretisch befand mein Gesprächpartner, hätte sich wahrscheinlich eher etwas sexuell Konnotiertes erwünscht. Und überhaupt dieses populärphilosophische Schleifenfliegen, diese Thekengespräche, die um Sexualität und Kalkül, um die Ökonomie der Begierden kreisten und die unabänderliche Gewissenheit (und durch Blicke verifizierte Bestätigung), dass das Trinken und provokative Debattieren (manchmal auch Pöbeln) an Berliner Thesen eine atemberaubende Inszenierung der eigenen Vorteile darstellen kann. Eine Vollpräsentation von Schokoladenseiten ohne unterm-Tisch-Versteckspiel, im Gegenteil: fast gänzlich Exposition, körperliche Überpräsenz im Hochstand. Und nur hier kommen 180 Zentimeter im Spitzenkleid zu ihrer vollen Geltung, denn hier werden neben vielerlei Worten die wesentlichen Blicke ausgetauscht.