23. November 2010

Des Fräuleins Grillen

Et voilà: Heute ein Ausschnitt aus dem Kapitel "Wie bekomme ich meine spontanen Anfälle infantiler Provinienz, sprich: zickenhafte Rachegelüste, besser unter Kontrolle?". Die Miss, Hauptprotagonistin dieser Miniatur, auf dem Weg zur Arbeit. Der Kaffee war kaum durchgelaufen, da musste sie auch schon den Turbo einlegen, schnell in die Fellstiefel und aufs Rad geschwungen. Der Kaffeetassenrand blieb derweilen von ihren anschmiegsam-gierigen Lippen unberührt.

Angesichts der fortgeschrittenen Stunde ad hoc (um)entschieden, geriet der neueste fräuleinsche Plan, die S-Bahn zu nehmen, zu einem unvorhergesehenen Desaster. Wann immer die Miss im Stress ist, schafft sie sich mit Musik Abhilfe. Während die sidoesken Handyspeakerattacken einer sitzbenachbarten viereinhalbköpfigen Mädchenmannschaft durch ihre penetrante Stetigkeit den Stein der Geduld - trotz wohltemperiertem Eagles of Death Metal-Soundteppich - allmählich zu höhlen begannen, war der teuflische Plan längst geschmiedet. Bei der Ansage "Nächste Station Potsdamer Platz: Übergang zu den S-Bahn-Linien S2 und S25 und zur U-Bahn-Linie U2" funkelten Fräuleins Augen tückisch und voller Vorfreude. Bevor die Pubertierenden die Tür erreicht hatten, war eine, die lindsaylohanhafteste unter ihnen, bereits über das subtil ausgestreckte Bein des Fräuleins gefallen, die im Angesicht des Sturzes innerlich tausend Sektkorken gleichzeitig zum Knallen brachte.

Bleibt bloß zu hoffen, dass das Opfer den Pimkie-Shop in den Potsdamer-Platz-Arkaden noch rechtzeitig erreicht hat, but who knows?

Und die Miss: Statt Reuegefühle zu hegen, erfreut sie sich übrigens noch immer an ihrer praeadoleszenten Grillenhaftigkeit.
Ein Blick ins Wörterbuch hilft dem aufmerksamen Leser auf die Sprünge (Eingeweihte bitte überspringen):
Grille, f. , heimchen; laune.
...
2) närrisches gebahren, faxen, possen, dann auch abstracter: närrische, lustige einfälle (auch im mnl. reich entwickelt Verwijs-Verdam 2, 2140): grille possenreiszung, gestus, gesticulatio Henisch 1743; grillen treiben, possen treiben gesticulari, gestire 1744; grillen gesticulationes et gestus ridiculi Stieler 702; im 16. jh. sehr häufig, im 17. allmählich erlöschend; nur im plur. gebräuchlich:
...
das ist ein alte lumperey,
possen, grillen, esels gschrey
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 213 lit. ver.;
3) hauptbedeutung: seltsame, wunderliche einfälle. auch hier tritt in älterer zeit, bis ins 17. jh., gelegentlich concreterer gebrauch auf: seltsame geschichten:
a) das phantastische, unwirkliche wird stärker betont: hirngespinst, einbildung, erfindung, täuschung; oft, aber nicht nothwendig, mit dem nebenbegriff des schrulligen; in älterer sprache gern religiös gewendet: dass noch ein jeder phantast seine närrische einfäll und thorechte grillen mit h. schrift behaupten will Grimmelshausen vogelnest 2, 388 Keller; hinweg mit allen fleischlichen, irrdischen, mahometischen
b) das unbegründete, willkürliche, launische wird stärker betont: marotte, schrulle, bizarrer einfall; bisweilen mit dem nebenbegriff des eigensinnigen oder mehr durativ: fixe idee.
Frei nach dem Motto Vergnügen auch für Nicht-Philologen oder die Existenzberechtigung geisteswissenschaftlicher Forschung sei allen Freunden etymologischer Ausführungen, die darüber hinaus Liebhaber der deutschen Sprache sind, der digitale Grimm übrigens wärmstens zu empfohlen.
Confessio of the day: Sie bekennt sich mit einem Hauch von Stolz schuldig in allen Anklagepunkten.