24. August 2011

On the run

Würde mein Leben verfilmt, dann als Aneinanderreihung von Laufepisoden. Was das Laufen (nicht Joggen) angeht, bin ich nämlich irgendwie besessen, wenn man so sagen kann. Ich liebe es abgöttisch, nahezu manisch, dieses ziellose, aber dynamische Flanieren mit Musik im Ohr. Besonders in warmen Nächten; wie diese eine ist. Da ich,  auf dem Arbeitsweg vom Regenschauer kalt erwischt, mein Fahrrad heute morgen am Bahnhof Friedrichstraße genervt stehen ließ und meine Fahrt mit der S-Bahn fortsetzte, kam ich durch einen Umweg über eine Berliner Weiße mit Waldmeister in der Kreuzberger mokkabar zum Feierabend in den Genuß eines unvergleichlichen Sommernachtsspaziergangs. Von dort aus lief ich am prächtigen Jüdischen Museum vorbei zum Gendarmenmarkt, die Nase kurz am Schaufenster der Chocolatiers Fassbender&Rausch (buchstäblich!) plattgedrückt, dann widerwillig losgerissen, an Lutter&Wegener vorbei, gut gefüllt wie eh und je, Unter den Linden gekreuzt. Das Grimm-Zentrum leuchtet, mein Fahrrad habe ich da schon beinahe erreicht, vorwurfsvoll auf mich herab und mahnt mich wie ein zärtlicher Vater, meine akademischen Verpflichtungen ob der sentimentalen Verwirrungen, die dieses Wetter mit sich bringt, nicht allzu sehr zu vernachlässigen. Und überhaupt überall entlang des Weges, den ich zurücklasse, Massen von Menschen, fast lautlos durch die Nacht gleitend. Die bei Kerzenlicht die Köpfe zusammenstecken, lachen, flüstern. Die schwüle Luft rieht nach Motoröl, Hundekot und Pizza. Schweißperlen, die den Rücken hinunterlaufen und trotzdem Gänsehaut bei den alten Springsteen-Platten, die mein Vater an fast dem gleichen Ort in einer anderen Zeit schon hörte. River - I'm on fire - Radio Nowhere. Und noch schwingt die schmeichelhafte Bemerkung eines blinden Kollegen in mir nach, meine eigene, diese viel zu laute, auf dem AB derart verzerrte, manchmal unkontrollierbare Stimme, würde sich ideal für Hörspiele eignen. Auch ein bißchen Stolz und Verlegenheit. Später auf dem Fahrrad dann, nur noch ein minimaler Heimweg vor mir, in großem beschwingten, vielleicht etwas nachttrunkenen Slalom durch die Ackerstraße. Fast so als könne man abheben in den Nachthimmel hinauf. Und während ich dies hier schreibe, feiert die Welt draußen mal wieder ihren nächsten Untergang.