8. August 2014

Selbstbetrachtungen: Meine Gretchenfrage

In meinen mittleren Zwanzigern habe ich mich auf dem Umweg über Foucault und Derrida zeitweilig sehr intensiv mit dem philosophischen Feminismus auseinandergesetzt, habe Beauvoir, Cixous, Irigaray und Butler gelesen. Stets kreisten meine Gedanken dabei um Fragen von Identität und Differenz, um die Beschaffenheit symbolischer (mythischer) Ordnungen in Hinblick auf Geschlechtsdiskurse und -praktiken, die genuine Kulturbezogenheit und Historizität von sozialen Rollen und Körperlichkeit sowie ihre Verschleierung, Zurichtung und Naturalisierung – die Frankfurter Schule und auch Jelinek lässt grüßen – durch Politik, Wissenschaft, Massenmedien und Werbung. Abseits dieser Kopfgeburten unter akademischer Federführung gestaltete sich mein praktisches Engagement zugegeben eher mager, beschränkte sich meist nur auf das (manchmal kopfschüttelnde Verfolgen) von aktuellen Debatten in Feuilleton, Bundestag, im Rundfunk und Fernsehen; zumindest von dieser Pflicht, mich thematisch up to date zu halten, wollte ich mich dann nicht auch noch entbinden. Nie jedoch unterschrieb ich auch nur irgendeine Petition, besuchte ich Demonstrationen, die für Frauenrechte mobil machten, gesellschaftlichen Sexismus monierten oder für die Gleichstellung der Geschlechter eintraten. Auch heute findet meine Auseinandersetzung mit feministischen Themen in schmalem Radius statt, dreht sich im allerkleinsten Kreise in beflissenen und klugen Gesprächen (mit regem Büchertausch) mit der V. und der E.; vollzieht sich auch im Austausch mit vielen mir bekannten und befreundeten Herren, die sich hierin oft sehr offen und kritisch zeigen und die mit ihren Perspektiven meine Denkweisen allzu oft bereichert haben. Bis heute fühle ich mich keinem eindeutigen Lager zugehörig, bin am Ende vielleicht mehr von einem phänomenologischen Interesse an den gesellschaftlichen Zuständen geleitet und als wirklich betroffen von Unterdrückung und Diskriminierung, diese Peripherie meiner subjektiven Wahrnehmung; zumal in einer Familie von Frauen (Großmüttern, (Schwieger-)müttern, Tanten, Cousinen) situiert, die ich immer als nicht nur ökonomisch selbstbestimmt, lebensklug und pragmatisch erlebt habe, zudem von früher Kindheit an – im unreflektierten Sprech – eher am männlichen Tugendkatalog, zumindest jener im Alltagsdiskurs verwurzelten gesellschaftlichen Konstruktion dessen, geeicht: selbst wettkampforientiert, kämpferisch, aktiv erzogen, als Mutter einer Tochter vielleicht auch ähnlich erziehend?
Seit einiger Zeit aber fällt mir etwas auf an den Gesprächen, die ich besonders mit mir lang bekannten Männerfreunden führe. Schwierig die gemachten Beobachtungen auf den Punkt zu bringen: Eine Art verschmitzter Zug, der sich um Mundwinkel und Stirn des Gegenübers legt, wenn die besagten Themen angeschlagen werden. Ein amüsiertes Abwinken, sobald das Gespräch meine Erfahrungswelt berührt. Und wie aus der Pistole geschossen: die Revision der Notwendigkeit einer feministisch orientierten Lebensform in meinem Falle, wenn das begrifflich trifft. Im Hintergrund – das sagt mein neuerlich aus dem Dornröschenschlaf erwachter Seismograph – jene subtilen Schwingungen: die Vorstellung vom Feminismus als einer Art Wappenschild für eine Gruppe Bemitleidenswerter und (zurecht) Ausgegrenzter, die das nötig haben, sich mit Frauenquote, Sonderantrag und Gruppenstricken an den Qualifizierten vorbeizumogeln oder dem Patriachat für lang erlittenes Unrecht endlich mal straffrei den Stinkefinger zeigen zu können – beleidigte Leberwürste, mardy bums. Ganz und gar unnötig, nahezu widersinnig, so das Urteil, sei das, mich auf so etwas zu berufen, das vor allem Frauen gebührte, die weder auf der Skala der Klugheit, des Charmes, der Tatkraft noch auf jener der Attraktivität mithalten könnten. Weibliche Wesen, die schon immer irgendwie den Kürzeren gezogen hätten. Und mit diesen, mit Verlaub, wäre ich ja nun wirklich in keiner Beziehung zu vergleichen.