31. Dezember 2011

M. und ich diskutieren beim Frühstück mit Prosecco-Kopfschmerz (bei mir) und Augenringen (bei uns beiden) über das ins Land gegangene Jahr, um das meine Gedanken in den letzten Tagen kreisen. M. legt mit seinem naturgegebenen Pragmatismus mal wieder den Finger exakt in die Wunde (hat nun schließlich auch schon 5 Jahre Übung). Mein ständiges Zerstreutsein - buchstäblich - diese meine absolute Unfähigkeit, den Geist über lange Strecken auf dieselbe Stelle zu fokussieren. Dabei gleichzeitig der quälende Eindruck, beständig hinter den eigenen Möglichkeiten zurückzubleiben. Voilà, das maßgebliche Spannungsfeld, in dem mein Leben so seine Bahnen zieht.
Wie ein Gelangweiltsein vom Tapetenmuster, während das Zimmer endlich wieder einen Boden hat, auf dem ich stehe, finally. Auch das für 2012: ein wenig mehr Demut vielleicht.

2011 - over...

Wäre dieses Jahr der Entwurf eines Roman gewesen, gehörte er geradewegs zerknüllt, in Stücke gerissen oder gar in den Müll geworfen. Bar jeder Vision, ein hochfunktionabler Mechanismus aneinandergereihter Automatismen zwar, aber alles in allem nur wenig mehr als dies (bis auf die wunderbaren Bücher, die ich las und die Landschaften, die an mir vorbeizogen, an denen ich vorbeizog). Mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber der Symbolkraft von Jahreswechseln wünsche ich mir insgeheim, das würde endlich anders werden, bei aller Melancholie würde die Unmittelbarkeit des Leben wieder Oberhand gewinnen über die Gedanken an Vergänglichkeit und Tod. Der passionierte Zug ist es, der mir irgendwie abhanden kam, an dessen Stelle ein stagnatives Element trat, das mich seitdem lähmt. Auch hierin bietet dieses Jahr eine fade Spiegelung von 2010 ergänzt um wenige luzide Momente der Selbsterkenntnis und die Absicht, zurückzufinden zu einem Modus der Entschlossenheit, einer Tiefe der Überzeugung. Vita activa et contemplativa.

29. Dezember 2011

Kleine Abschiede

Einem neunjährigen Mädchen und ein fünfjährigen Jungen werde ich diesen Schatz aus Plastik, Pseudostrass und lackiertem Metall morgen darreichen. Gestern beim Aussortieren etwas Wehmut im Angesicht der vielen temps perdu, ihrer in Neonfarben materialisierten Reliquien. Und ich erinnere mich, wie ich damals, vor über einer halben Dekade, mit jenen kolossalen Metallsternen in den Ohrläppchen immer donnerstags in den Sage Club radelte, während diese die Ohren im Gegenwind zum Flattern brachten. Vorher hatte ich Psalmi et orationes gelesen - ich habe viel Petrarca gelesen seinerzeit, auch Dante, Montaigne und Erasmus von Rotterdam und kam für gewöhnlich zu spät zu jeglichen Verabredungen, weil ich zuhause immer noch lange Zeit herumtrödelte, Musik hörte oder las. Daher galt die stillschweigende Abmachung, Freunde direkt auf der Tanzfläche zu treffen, damit sie sich schon mal warm machten. Später dann, draußen dämmerte schon der graue Morgen herauf, kam ich auf dem Dragon Floor bei Industrial und Hardcore richtg in Fahrt und manchmal blieb in meiner Entfesselung ein armer, unbeteiligter, in sich selbst versunkener Tänzer an riesigen Sternen, Kugeln, Creolen hängen oder wurde unsanft daran aufgespießt. Einmal, in der Erinnerung inzwischen umdunkelt, war die Tanzfläche derart überfüllt und ich, wegen irgendeiner Kleinigkeit verärgert, daher innerlich auf 180 und bereit zu allem, verlor bei Take a look around (musikalisch leichteste Crossover-Kost) irgendwie die Fassung und schlug einem hinter mir Tanzendem eine blutige Nase, ein anderer riss mir kräftig am Ohrläppchenschmuck und verpasste mir fast ein Schlitzohr. Seit diesem Ereignis trage ich im Übrigen keine überdimensionale Ohrringe mehr, die schwer, spitz und metallisch sind und verschenke sie inzwischen an Mädchen, die meine Töchter sein könnten. Crossover-Platten lege ich auch nur noch dann auf, wenn ein immenser Alkoholgenuss mich dazu nötigt. Die Tasche mit den Rockabella-Accessoires, dem Schmuck, den Sonnenbrillen, Buttons und Tüchern, ist mit dem Klimperkram derart schwer beladen, dass ich sie wohl kaum mit dem Fahrrad zu den Kindern transportieren werde. Jedenfalls habe ich jetzt derart viel Platz, dass ich mich jedes Mal erschrecke, wenn ich betreffendes Zimmer betrete.

28. Dezember 2011

Zwischen den Jahren

Die absolute Undefiniertheit der Zeit. Ihre unbemerkte Ausdehnung und Raffung. Nach ein paar Stunden Licht versinkt der fahle Tag  glutrot zwischen kahlen Pappeln über den Feldern von Malchow. Dabei hatte er gerade erst begonnen - vor einer Minute erst oder vor einer Dekade. Ich, eingeklemmt in der Zeitlosigkeit, ein bißchen orientierungslos, ganz und gar ortlos zwischen vielen Gedanken schwebend dieser Tage. Eine Zeit, in der noch nichts abgeschlossen, noch nichts Neues begonnen hat. Und im Hintergrund allen Grübelns die leise Ahnung, dass 2011 eine Wiederkunft von 2010 war und die bittere Hoffnung, dass 2012 befreiungsschlagartig endlich anders werden könnte. Wunsch nach einer inneren Bewegung also, einer Wendung. Ein wildes Ummichschlagen. Dabei alles in Scherben legen und aus der Gebrechlichkeit der Welt vielleicht einen neues Fundament ableiten.

17. Dezember 2011

about music II: Last night Feist saved my life.

Dass ich dieses Album im Jahr 2007 in einer Dauerschleife gehört habe, jede Zeile heute immer noch auswendig kann, kein bißchen verwunderlich. Seit Donnerstag nämlich befindet sich die Repeat-Taste wieder im Anschlag. Und, dass ich mich an das erste Hörgefühl, überlagert von tausend späteren Eindrücken, noch ganz genau erinnern kann. Diese pure Intensität des Überwältigt(gewesen)sein.


15. Dezember 2011

about music

Als ich nach Hause kam, war sie tot. Das war der Abend, an dem im Fernsehen zum ersten Mal eine Sendung über den Selbstmord der Monroe lief. Die Wochen und Monate danach habe ich fast pausenlos das "Wohltemperierte Klavier" gehört. Ich habe mir Schlaftabletten gekauft, aber keine genommen. Es war schon schwierig.
Heiner Müller, Krieg ohne Schlacht

Wie viele Male mir dieses Lied schon das Leben gerettet hat, keine Ahnung...



How could I say no?

14. Dezember 2011

Facebook-Müdigkeit

Während ich noch über die Korrektheit der Schreibweise sinniere, jubelt eine Stimme in mir lauthals. Deutschlandradio Wissen, vom Moderator Konstantin Zurawski kokettierend "Klugscheißerradio" genannt, beschäftigt sich mit einer von Bloggern wie Richard Gutjahr und Michael Umlandt konstatieren Facebook Fatigue (wunderschöner alliterativer Neologismus), mit einem gar generellen Überdruss, mit Schwachsinnspostings von nervenden Mitmenschen rund um die Uhr traktiert zu werden. Zitat: „Es nervt, 70 bis 80 Prozent, von dem, was meine ‚Freunde’ dort posten, ist mehr oder weniger sinnbefreit. Das will ich nicht mehr lesen.“ Musste auch nicht, denke ich mir, hat Dich ja keiner gezwungen!
Schön, dass man über die Frage eines Danachs nicht nachdenken muss, wenn es ein Dabei nie gegeben hat. So ist das mit Lieblingsthemen. Der Absolutheitsanspruch meiner Intoleranz - wir wollen ja den Untergang des Abendlandes noch etwas verzögern - ist sowieso das Bestgelungenste an mir. Kinder, wenn ihr ohne Facebook nichts mehr zu tun habt, lest mehr Cicero und Cioran, baut den Kölner Dom aus Streichhölzern oder lauft den Ironman! Könnte eurem Teint guttun.

12. Dezember 2011

boring room

In der fünften Klasse lernte ich von meiner Englischlehrerin Mrs. Westbury, dass die Briten ihr Wohnzimmer mit diesem Begriff betitelten. Irgendwie merkwürdig klang das in meinen Kinderohren, wo doch gerade jenes Zimmer vor allem eines zu sein versprach: Raum für kreative Abende, für ausgedehntes Speisen mit Freunden, den ein oder anderen Rotweinexzess, bei dem die Dielen spontan zur Tanzfläche werden, für Spiele, für das Versinken in Lesewelten und dergleichen. Zum Glück ist mir im Laufe meines Studentinnenlebens mein geschätzter Kommilitone über in Weg gelaufen, der die von mir seit Kindheitstagen gefürchtete Langeweile selbst für mich nachvollziehbar und endlich philosophisch aufzuwerten sich aufmachte. Im Rahmen seiner Abschlussarbeit in ihr sogar subversive Schichten freizulegen wusste. Chapeau! 
Ja, so ist das mit den Heimkehrerinnen von ausgedehnten Nilkreuzfahrten! Dass sie schnell und ohne Durchatmen die nächste Baustelle eröffnen, an die sie all ihre Kräfte, die auch anderswo gut untergebracht wären, heften, um sich nur ja in Bewegung zu halten. Das dialektische Prinzip von Langeweilevertrieb (nicht kaufmännisch konotiert) bei der Entstehung langweiliger Räume, das hat schon was für sich - beinahe charismatisch. Und während ich mich vor lauter Vorfreude fast überschlage, denke ich in Einzelmomenten, aber in einer erstaunlichen Beständigkeit, so bei mir: Alles wird gut. Eine Gemütslage, von der ich lange nicht mehr so deutlich durchdrungen war.