Es ist Weihnachten 1996. Ich werde, gerade dreizehnjährig und freilich hochgradig pubertierend, von meinem Opa für ein festliches Foto auf die großelterliche Eckcouch dirigiert, zu Mutter, Vater, der Oma, Tante und Onkel, die dort bereits sitzen. Eilig arrangiert und akurat drapiert wird das Motiv, die kleine Familie. Schließlich wird dreimalig der Auslöser des Apparats im Plastikgehäuse betätigt. Ein seitdem nahezu deterministisches Ritual, weihnachtsstrukturierend.
Und, da, wie Christian Stöcker in seinem höchst unterhaltsamen Buch Nerd-Attack!, das die Kaltmamsell ob seines spritzigen Faktenreichtums kürzlich nebenan anpries, konstatiert, dass die Fähigkeit zur "Nostalgie eine der Eigenschaften [ist], die den Menschen vom Tier unterscheidet, weil er ein Bewusstsein seiner selbst und seiner Geschichte besitzt", bietet die Erinnerung an den ratternden Kasten auch meinem Leben einen unermesslichen, oft allzu unterschätzen Halt im Getose des 21. Jahrhunderts. In einem Zeitalter nämlich, das vom beständigen "Verschwinden des Analogen" gekennzeichnet ist, ertönt mit dem knirschend knatternden Mechanismus gleichzeitig der Schwanengesang einer längst überholten Technik. Da meine überstarke Datenträgernostalgie, (insbesondere das Medium Buch betreffend) jedoch meist ohne die monierten "agressiven Züge" auskommt, sondern sich eher mit der Melancholie zu paaren gesellt, frage ich mich jedes Jahr auf's Neue, ob mein armer Opa im Jahre 2012 für die Abzüge erst mühsam in das Auto oder den Bus steigen muss, in die nächste größere Stadt zu gelangen, um die paar geknipsten Weihnachtsbildchen zu entwickeln, weil ja alle Fotogeschäfte in der Kleinstadt bereits seit Jahren geschlossen sind. Der alljährlichen Betätigung des alten Kastens tun jene Unwägbarkeiten jedoch bisher keinen Abbruch.