22. Juli 2011

Das archivierte Ich

Beständiger Verlust der Überbleibsel eines Selbst, wenn es das überhaupt gibt. Fragmente innerer Erfahrungen, all dies direkt empfundene Intensität und unwiederholbare Singularitäten. Und immer noch sind mir Stift und Papier selbstverständlicher zuhanden als behäbige Tasten. Um das aufzufangen, was sich unmittelbar erlebt da drinnen. Dasjenige nämlich, das bereits verschwindet, wenn die Worte in die stumme Erfahrungswelt einbrechen. Wie Fotos, die an den Rändern langsam verblassen, kann auch meine Hand den Impressionen nur unzureichend folgen, hinkt in ausladenden Bögen hinterher. Doch gehe ich mir, auf solche Art papierern festgehalten, immer wieder verloren zwischen Altpapier und Rechnungen, schmeiße ich wöchentlich missglückte Identitätstiftung in die blaue Tonne. Daher der verwegene Versuch, viel mehr noch hier, genau an dieser Stelle, zum Zwecke späterer Verfügbarkeit festzuhalten. Sprachlich auch noch das abbilden, was der unruhige Verstand als umnachtete Phantasmen gebiert. Verkettete Idiosynkrasien,  Exkremente eines manchmal aus dem Ruder der Normalität gelaufenen, ganz und gar ungeordneten unstofflichen Metabolismus. Oft aber ziemlich profan das Ganze. Innehalten bei dem, was ich mir im Nachhinein nicht mehr zuschreiben kann, abschütteln will, und konfrontatives Atemholen, im Benjaminschen Sinne als Daseinsform der Komtemplation, ist vielleicht dies, was ich lernen will. Zulassen, was sich so mitteilen will und nicht immer gleich alles externalisieren, für das theoretische Besitzergreifen handhabbar gemacht. Und dann stoße ich heute peinlich berührt auf diesen Satz meines 19-jährigen Ichs und muss bei aller Distanzierung unverzüglich schmunzeln: kann keine klaren gedanken mehr formulieren, es fließt einfach alles runter, über, raus, ach keine ahnung. morgen revidiere ich, relativiere, nehme zurück, bereue, verstehe nicht mehr. Als ob es doch möglich wäre, das überzeitliche Zusammenbringen dieser Fäden. Als ob es jenseits aller philosophischer Revisionen einen unverrückbaren Teiler beider Selbst gibt bei allen Diskrepanzen.