18. November 2011

Und weil heute mein Glückstag ist...


hebe ich nachher im Astra die Gläser auf John Keating. Und auf Nicholas Müller und auf Sascha Eigner und auf Andreas Becker und auch auf Marco Hontheim und werde tanzen, was das Zeug hält.
Auf das Leben!

17. November 2011

when you were young

Da beginnt man, vom Fleiße und Disziplin förmlich angestachelt, frühmorgentlich, also noch vor halb neun, den unter Gedankenfragmenten, Exzerpten, aus den einschlägigen Periodika kopierten Forschungsaufsätzen, Büchern und freien Schnipselradikalen vergrabenen Schreibtisch, im Schliemann-Prinzip Schicht für Schicht abtragend, freizulegen, stößt dabei, das Vorhaben auch auf das auf jenen Schreibtisch montierte Regal ausdehnend, auf Schätze einer weit entfernten Vergangenheit und muss erstmal die Killers (Hot Fuss erschien kurz nach meinem 21. Geburtstag, ist sowas wie die Begleitmusik meines Erwachsenwerdens) anmachen, um placeboartig beruhigt weiter zu graben. 
Dabei tauchen Dinge auf, gelangen derart aberplötzlich ins Blickfeld, dass sie mich kurzzeitig sprachlos machen, weil ich mich ihres Daseins trotz meines Vergangenheitsfetischs nicht mehr erinnerte:

Ein Kontoauszug der Citibank vom 8.8.2003, der auf den Klarnamen der Miss eine gut verzinste Festgeldanlage von 4.164,48€ ausweist (für eine 20jährige, die neben der Schule, seit sie 15 war, gearbeitet hat, ein stolzes, gespartes Sümmchen). Was soll ich sagen, das Geld wurde am 06.11. desselben Jahres frei. Es passierte, was passieren musste (mit damals noch nicht diagnostizierter Zwangsstörung). Aber das das so viel war, das schmerzt im Nachhinein doch gewaltig.

und andere, die mir sehr gut in Erinnerung sind, Allbekanntes sozusagen:

Dutzende Kontoauszüge, die die Radikalisierung des Konsums anzeigen. Zwar noch ohne Inkasso, gerichtlichen Mahn- und Vollstreckungstitel und Gerichtsvollzieher (das kam alles später), jedoch erste Mahnungen dazwischen, stufenweise Erhöhungen des Kreditrahmens für das Girokonto, übertriebene und unangemessene Kreditkartenabrechnungen. Die Kontoauszüge eines Monats im Umfang steigend, dann irgendwann derart dick werdend, dass der Überblick gänzlich verloren geht. Am Ende gibt es jeden Tag Abbuchungen von den einschlägigen Einzelhändlern. Immer hemmungsloser die Höhe und Häufigkeit der Abgänge, manchmal von zwanzig Geschäften an einem Tag. Dass ich 1000€, die mir meine Eltern damals zum Abitur schenken innerhalb weniger Tage plattmachte statt etwas Sinnvolles (Reisen) damit zu finanzieren, schrecklich dumm, im Nachhinein. 
Überhaupt die Sinnlosigkeit des Konsums, der Anhäufung von (für sich bedeutungslosen) Objekten bei gleichzeitiger Sinnhaftigkeit und symbolischem Gehalt der Geste. Dieser verfickte Verweisungscharakter: bis ich die Allgegenwart der Referenz geschnallt hatte, gingen schon einige therapeutische Jährchen ins Land.
Die 4.164,48€ und 1000€ werde ich meiner imaginären Bilanz dennoch zuschlagen müssen, um den späteren Enkeln die Dimension von Entgleisungen zu verdeutlichen.

Daneben natürlich Unmengen studienrelevanten Materials und Studienbescheinigungen, jedes Semester ein anderes, neues Fach darauf. Und zur Belustigung der lesenden Aufräumerin, aus einem sozialistischen Notizbuch mit Sitzungsprotokollen (von ihrem Onkel geerbt): Neben spezifisch landwirtschaftlichen Maßnahmen im Rahmen der LPG findet sich an der ein oder anderen Stelle Linkshegelianisches (aus dem Jahr 1971), was die Miss, die ja eigentlich Philosophin ist, enthusiasmiert und äußerst delektiert zur Kenntnis nimmt:

Beim Durchblättern alter Gedichte, ja ich habe mich tatsächlich einmal an der Lyrik versucht, in allem dieser (sich manchmal verselbständigende, manchmal übertriebene) sentimentalische Zug, dessen Quelle mir gänzlich schleierhaft ist in einer Familie der Pragmatiker, Eingerichteten und Ausgeglichenen.

And sometimes you close your eyes
and see the place where you used to live
When you were young

16. November 2011

Von sterbenden Worten

Wenn ich versuche, Dich aus meinen Erinnerungen heraus heute zu beschreiben und vor mir auszubreiten, was Du für mich gewesen bist, verschlägt mir Dein junges Sterben, bei dem ich Dir nicht die Hand hielt, auch heute noch die Sprache.

15. November 2011

Man ist ja immer auch ein Anderer (vielleicht schon jede Zehntel Sekunde)

Ich habe zum Beispiel ein Mädchen sehr lange geliebt. Wir waren sieben Jahre zusammen. Die hat mich auch erfunden, da komm ich auch her. Die Bücher, die die gelesen hat, waren mir vorher fremd. Wie die so Eierkuchen gemacht hat, das habe ich noch nie gesehen. Was die so für Musik gehört hat, wie sie sich bewegt, wie die riecht, das sind so Dinge, das macht ja auch was mit einem, das verändert einen ja auch. [...]. Wenn man sieben Jahre lang nicht nur Körperflüssigkeiten, sondern alles Mögliche austauscht, in einem Alter, wo man schon reif, aber vielleicht noch nicht ganz reif ist, dann ist das vielleicht auch meine Herkunft.
Als ich Dich, 90 Minuten nach Pollesch allein auf der Bühne agierend, vor einem Jahr im Großen Haus der Berliner Volksbühne zum ersten Mal bewusst wahrnahm, fühlte das sich fast wie eine Erleuchtung an.

14. November 2011

Das Leben der Anderen

Wenn sich die Novembernacht mit dunstiger Sanftheit über Berlin wölbt und ich über die kleine Brücke am Bodemuseum den Blick auf das Wasser und in Richtung Alex gerichtet mit eiskalten Händen heimwärts hinüber radele, erwachen inmitten des flimmernden Dämmerns die Gedanken an die anderen Leben. Wie sich das wohl anfühlte, jenes sensible-pour-soi unter der fremden Haut erfahren.

13. November 2011

in circles


All that lives must die,
Passing through nature to eternity. 
Hamlet, I.2.72f.






















12. November 2011

Überholzwang

Mon Dieu, ich habe Muskelkater an Stellen, die ich niemals meinem Körper zugerechnet hätte. Dass ich mir, brustschwimmend und den Kopf stets über der Wasseroberfläche (ohne hässliche Plastikbrille: eine Beleidigung meiner Ästhetik), auf den 2000m zwischenzeitlich immer wieder ein Wettschwimmen mit einzelnen männlichen Kraulern bieten muss, das zu 50%  zu meinen Gunsten ausfällt - Ja, viele Männer kraulen wie adipöse Sechsjährige, wählen dennoch nie eine andere Lage - und dass mich das irgendwie kickt, sie dann lässig einzuholen oder gar zu überholen, zeugt von der Ubiquität eines verbissenen Ehrgeizes, der sich nicht nur auf intellektuelle Gebiete ersteckt. Dass immer Männer angemessene Gegner darstellen, mich der sportliche und geistige Wettstreit mit (den meisten) Frauen eher langweilt, darüber wäre nochmals gesondert nachzudenken...

10. November 2011

Inventur des Verlustes

10.11.2011. 7:32 Uhr.
Sie: 'Juten Morjen, Stadtbad Mitte.'
Ich (räuspernd): 'Guten Morgen, ich war gestern bei Ihnen schwimmen und vermisse seitdem meine EC-Karte und dachte vielleicht...'
Sie (unterbricht feixend): 'Zinntja, wa?' Nee, hab ick hier, liecht hier, hat mir eene Kundin jestern jebracht.'
Ich (erleichtert): 'Ein Glück! Wissen'Se jestern war echt so'n Tach, da hab ick überall wat liejen lassen.'
Sie: lacht
Als ich die verloren geglaubte Karte abhole, muss ich kurz Bericht erstatten, was seit gestern noch alles vermisst wird und sich seitdem nicht mehr angefunden hat und danach feierlich vor den Bademeistern schwören, dass ich ab heute besser auf meinen Kram aufpasse:
10er-Schwimmkarte
USB-Stick
Handcreme
Kopfhörerapplikationen
Franzens Korrekturen

9. November 2011

Mutmaßungen eines Insassen

Diese Mauer umstellte uns mit Vergeblichkeit. Abgesperrt hat sie uns von allem Möglichen, vor allem aber von uns selbst. Die Normalität hinter der Mauer war ein von sich selbst abgesperrtes Leben, abgesperrt von menschlichen Strebungen, die so essenziell waren, dass man dafür alles, was man dort hatte, im Stich zu lassen bereit war. Dass man dafür sogar das Leben riskierte. Ebenso mächtig wie diese Strebungen musste das Stauwerk sein.
Martin Ahrends: "Die Mauer schweigt." Großartiger Artikel anlässlich des Gedenkens 50 Jahre Mauerbau (Zeit Online). Das berührte und bejahende Nicken meiner Eltern, als ich Ihnen den Artikel im Sommer vorlas, ist mir noch überaus lebendig in Erinnerung.

Eleven Nine



Herbst 1989. Mauerfall. 22 Jahre her, das.
Im selben Jahr, nur ein halbes Jahr zuvor, verließen meine Eltern mit ihrer fünfjährigen Tochter (ich) auf illegalem Weg über die Tschechoslowakei und Ungarn die DDR. Nach vier abgewiesenen Ausreiseanträgen und politischen Schikanen war ihnen das Leben in unfreiwilliger Gefangenheit in einem Land, mit dem sie sich nicht die Spur (mehr) identifizierten, zu einer untragbaren Last geworden, aus dem sie nur einen Ausweg sahen, schließlich den Entschluss zur Republikflucht fassten. Drei kleine Körnchen in einem entfesselten Flüchtlingsstrom waren wir. Drei Flüchtlinge von tausenden in den Bettenlagern des Roten Kreuzes in Budapest. 
Im Sommer des nämlichen Jahres wurde ich sechs Jahre alt und auf der anderen Seite der Mauer in Berlin-West eingeschult. Erst jetzt wird mir klar, dass mein Vater kurz darauf und nur wenige Tage vor dem historischen Ereignis, Freunde und Familie auf der anderen Seite der Welt, 30 Jahre alt geworden ist.Wie sie sich wohl gefühlt haben, die beiden, und wie mutig diese Entscheidung in all ihrer Radikalität und Konsequenz, alles hinter sich zu lassen, doch gewesen ist, wird mir jetzt erst bewusst. Heute, wo ich selbst in einem Teil der Stadt wohne, der früher (noch 1989) zu einem anderen Land gehörte, steht mir auch die Tragweite ihrer Entscheidung vor Augen. Ein wenig stolz und heute sehr bewegt bin ich von dieser, jenes Wagnis der Freiheit auf sich genommen zu haben (pathetisch formuliert). Am von-Matt-Haus vorbeilaufend, um kurz danach in die eigene Haustür abzubiegen, finde ich an dem Entschluss nicht nur etwas ungeheur Risikobereites, sondern fast schon etwas Visionäres. Und auch heute bin ich mir ganz sicher, beide haben sie bei allen anfänglichen Schwierigkeiten diesen Schritt nie bereut.
Menschlicher Wille kann alles versetzen.

6. November 2011

Kinematik


Mit dem Fahrrad allein losziehen und mit Burt-Reynolds-Sonnenbrille vom Flohmarkt in der Gegend rumfahren, während Gedanken durch die Blutbahn pulsieren, sich in grauer Gehirnmasse agglutinieren. Von Mitte aus durch die Straßen, die ich wie meine Westentasche kenne, weil ich dort aufwuchs. Vorbei an meinem alten Gymnasium, dann zwei U-Bahnstationen später kurz hinterm Kutschi an der Straße, in dem der beste Freund damals wohnte. Sein Auszug nun fast 12 Jahre her, sein Tod in diesem Herbst bereits zwei. Alles, beinahe jeden Grashalm hier kenne ich. Dort, wo sich die Straße hinter der Endstation in Tegel gabelt, links bleiben und wieder links abbiegen in den orange leuchtenden Wald. Viele Radler sind unterwegs. Nur wenige Menschen zieht es allein in den Wald, zumeist bewegen sie sich paarweise durch das raschelnde Laub. Wenn ein Partner fehlt, läuft ein treuer Vierbeiner bei Fuss. 
Ich hingegen bin allein, eine vom Herbststrahlen bewegte Singulärität in ruheloser Bewegung mittels schneller Reifen. Wie sich nichts geändert hat über die Jahre, dieser beständige Bewegungsdrang, der seinerseits einen ungemeinen Rausch des Denkens auslöst. Stockt die Bewegung oder kommt sie gar zum Stillstand: Leere manchmal, das dann Erinnerte nur ein defizitäres Substitut des geistig Unmittelbaren, das nur die Bewegung erschafft. Schon immer war das so, denke ich bei mir. Wie immer werde ich nachher vom Rad heruntersteigen, der Gedankenstrom jeh unterbrochen und werde alles nur halb so formulieren können wie es mir unter dem Eindruck einer Präsenz des Laufes schwerelos möglich ist. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn alles ringsherum dem steten Wandel preisgegeben ist. Viele Orte von früher gibt es noch, ich erkenne sie ohne Anstrengung wieder und frage mich, wie lange das her ist, dass wir im Sommer immer hier an diesen Ort radelten, um auf den See rauszufahren. Fünfzehn Jahre muss das her sein, als mein Vater den Einmaster verkaufte, als wir an einem lauen Sonntagmorgen zum letzten Mal gemeinsam hierher kamen.
Das Auskosten des Gefühls, allein zu sein, ist hingegen eher neueren Datums. Jene permanente Umgebenheit mit anderen, auch mit diesen, die man sehr schätzt und überaus gern hat, die mir im Übrigen früher auch auf engstem Raum (Zelt, WG, Wohnwagen) keine größeren Probleme bereitet hat, ist es, die ich inzwischen regelmäßig unterbrechen muss. Der Spiegelflächen der andern nur solange bedürftig bis diese am Ende der Nacht stumpf werden, das eigene Spiegelbild um die Leuchtkraft gebracht. Dieser entsetzliche Herdentrieb (Nietzsche), jene verbrauchte Luft, die sie hinterlassen, wenn sie zu viert, fünft oder sechst in einem Zimmer schlafend gleichzeitig atmen. (Schon immer froh, dass M., genau wie ich, immer das Fenster nachts öffnet, egal wie kalt es draußen ist).
Hier nun (jetzt retrospektiv), fahrend und nur den eigenen Gedanken überlassen, Fragmente der letzten Nacht wendend. Immer ein Schmunzeln bei der Rückbesinnung auf die eigenen Antworten. Das Wissen ganz allgemein, so pathetisch oder so ähnlich hatte ich von den Mojitos schon erheblich berauscht, erwidert, sei es, was mich immer schon glücklich machte. Viel zu theoretisch befand mein Gesprächpartner, hätte sich wahrscheinlich eher etwas sexuell Konnotiertes erwünscht. Und überhaupt dieses populärphilosophische Schleifenfliegen, diese Thekengespräche, die um Sexualität und Kalkül, um die Ökonomie der Begierden kreisten und die unabänderliche Gewissenheit (und durch Blicke verifizierte Bestätigung), dass das Trinken und provokative Debattieren (manchmal auch Pöbeln) an Berliner Thesen eine atemberaubende Inszenierung der eigenen Vorteile darstellen kann. Eine Vollpräsentation von Schokoladenseiten ohne unterm-Tisch-Versteckspiel, im Gegenteil: fast gänzlich Exposition, körperliche Überpräsenz im Hochstand. Und nur hier kommen 180 Zentimeter im Spitzenkleid zu ihrer vollen Geltung, denn hier werden neben vielerlei Worten die wesentlichen Blicke ausgetauscht.

5. November 2011

Formidable Zeitgeistanalysen, Vol. I: Cowboy sein


ich mein ich bin sehr gern allein
denn es ist so schön, so schön, so schön
ein cowboy zu sein, ein cowboy zu sein
ich will ein cowboy sein
so richtig mit pferd und lasso
und cowboystiefeln und allem drum und dran

4. November 2011

In the end we lie awake

Heute, sechseinhalb Jahre später, erwacht und sonderbar milde gestimmt. Ein schnelles Match Squash nimmt mir kurzzeitig den Atem. Begleitet vom leuchtenden Herbst laufe ich von dort über die Landsberger Allee am Klinikum Friedrichshain entlang durch den goldenen Park über die Greifswalder, Prenzlauer und Schönhauser nach Hause. Die Blätter an Linde und Pappel vom Wind derart durcheinandergewirbelt, dass das schnelle und stete Wenden von hellgelber Oberseite und  dunklerer Unterseite mich an die Pailettenplättchen auf einem Kleid erinnert, das ich schon lange nicht mehr getragen habe.

3. November 2011

Fini


Angeblich wächst die Sentimentalität mit dem Alter, aber das ist Unsinn. Mein Blick war von Anfang an auf die Vergangenheit gerichtet. Dämmerung -Wolfgang Herrndorf

'Und, bist Du traurig?', fragt mich eine Kollegin kurz nachdem ich meine Tasche gepackt habe, bereit von hier aufzubrechen, und ich antworte ungewohnt kurzatmig: 'Ja, schon ein bißchen'. Sechseinhalb Jahre lang bin ich diesen Weg früh morgens gegangen, in den letzten zwei Jahren dann immer öfter auch mit dem Fahrrad gekommen. Zuerst immer um Punkt halb sieben aufgestanden, dann um Viertel vor, in den letzten Wochen erst um sieben. Je besser jeder Handgriff, je routinemäßiger der Ablauf, desto verträumter waren die Morgengedanken auf dem Weg dorthin. Äußerlich all das ohne größere Abweichungen in ewiger Wiederkehr, die innere Bewegtheit dabei beinahe unsichtbar. Jede kleinste Variation des immer gleichen Themas, befürchte ich, hätte mich mit meinen fragilen Gefühlsgebilden, im Laufe des Tages wie von unsichtbarer Hand in Luft auflöst, blitzschnell aus der Bahn werfen können. Ob verzweifelt, restbetrunken von Nacht und Rausch, in Studienliteratur vertieft:  immer waren es dieselben Treppen, dieselben Wege und Bäume, unter denen ich entlang lief. Nur die Zigarette fehlte am Ende. Viel ist passiert in diesen sechseinhalb Jahren. Beinahe das ganze Erwachsenwerden findet darin Platz. Die Dummheiten, die Enttäsuchungen, die Entscheidungen, die Verzweiflung über den Tod eines geliebten Menschen, zuletzt der Entschluss, das Studium nach vielen Tellerrandüberquerungen und inspirativen Eskapaden nun schnell und entschlossen doch noch zu beenden. All die Probleme mit den Schulden, die Parties, die an den Texten wundgestoßenen Nächte und all der noch fast jugendliche Weltschmerzkram. Etwas verwirrt bin ich heute als ich diesen Weg zum letzten Mal von dieser, meiner Arbeit der letzten sechseinhalb nach Hause gehe. Derart verwirrt gar, dass ich unkontrolliert in den Bus steige und nach einer Station Fahrt verwundert und fast reglos wieder hinausfalle. Alles derart vertraut, dass ich benommen bin von der Erkenntnis, dass auch dieser Abschnitt, die Arbeit hier, genauso zuende gegangen ist wie die letzten Jahre. Wie sich alles verändert, denke ich, gerade eben - auch das wird heute etwas schmerzlich klar - bin ich doch erst einundzwanzig gewesen. Dieser Abend riecht nach spätherbstlicher Abendluft und gefallenen Blättern, schmeckt ganz nach einer Flasche gekühltem Pils und fühlt sich an wie Bon Iver in Endlosschleifen. Und bald schon werde ich mir meine Magisterurkunde abholen können und wieder einen Schritt weg von der Einundzwanzig getan haben. Einundzwanzig. Das fühlt sich heute wie gestern und gleichzeitig wie in einem anderen Leben an. 'Bist Du traurig?' Ja, schon ein bißchen. Heute auch ein bißchen mehr, insbesondere wegen der schönen, besonderen, berührenden Zeit, die (wieder mal) unwiderruflich vergangen ist.