5. Oktober 2010
Living next door to Telespargel
Mein herzallerliebster Nachbar! In Berlins dunklesten Nächten, bitterkalt, in denen die Luft lautlos vibrierend jeden Moment in tausend Stücke zerbersten kann, hasst Du mir, die trunken voll Schlaf, mit Erschöpfung in den soeben noch tanzenden Gliedern, mit zerstreuten Gedanken und zittrigen Wimpern, die vergeblich versuchten die Müdigkeit wegzuzwickern, eine Gestrandete im Großstadtdickicht, stets den Weg nach Hause gewiesen. Ganz egal aus welcher Richtung ich kam, ob im zarten vorfrühlingshaften Morgengrauen begleitet von spöttischen Spatzenkonzerten, im diesigen Herbstdunst oder im weißen Winterzauberwald, die Stadt endlich zum Schweigen gezwungen, warst Du mir ein verlässlicher Begleiter, auf den ich immer bauen konnte. Nicht nur dann, wenn mein Gang schwankend oder ich, hoch zu Rad mit Musik auf den von der Nacht fast tauben Ohren, den letzten Schluck in der Flasche und ein verschmitztes Lächeln im Mundwinkel, den Heimweg meist nur noch in halluzinatorischen Schlenkern bestritt. Wenige Dinge weiß ich von Natur aus an dieser, meiner Heimatstadt, so zu schätzen wie Deine stoizistische Treue und Deine geheime Mitwisserhaft. Selbst als ich angekommen, durchgefroren und durchnässt, wenn die Tür längst hinter mir ins Schloss gefallen war, zwinkertest Du komplizenhaft, als wärst Du ein stiller Beobachter meines Lebens, nachts wie tags durch meine Fenster. Und weil ich darüber hinaus nie Gardinen besaß, konnte Dir wenig von mir entgehen: von dem zahlreich Gesprochenen, Gefühlten, Gelebten. Deine fast altväterliche Verschwiegenheit, Deine urbaneske Teilnahmslosigkeit und vor allem Deine liebevolle Interesselosigkeit weiß ich daher wie keine andere zu schätzen.