16. Februar 2011

Obsoleszenz

Nicht ohne Grund sind arte und 3Sat die mir verträglichsten Sender der deutschen TV-Landschaft, auch wenn ich wirklich sehr wenig in die Röhre schaue und Bücher bei mir stets den Vorzug genießen. Weil die dort aufgeworfenen Fragen noch lange nach dem Abschalten in meinem Kopf weiter rumoren und gedankliche Kreise ziehen und viele Sendungen den Verstand nicht mit billigem Fast-Food abspeisen, ihm hingegen ein mit intellektuellen Balaststoffen und außerordentlichem Nährwert angereichertes Buffet schwer verdaulicher Kost darreichen. Gestern beleuchtete ein Themenabend die künstlich herbeigeführte Veralterung eines Produktes innerhalb wirtschaftlicher Wertschöpfungsketten. Die Dokumentation Kaufen für die Müllhalde der Regisseurin Cosima Dannoritzer sucht dabei zu beleuchten, wie der kritische Konsument bei der geplanten Obsoleszenz zwangsläufig auf eine ökonomische Strategie im Produktionsprozess stößt, die mit dem Ziel des Erhalts der Konsumentennachfrage auf die gezielte Manipulation der Lebensdauer von Produkten - etwa durch Planung bewusster Schwachstellen oder Einsatz von Rohstoffen schlechter Qualität - setzt. Damit wachstumsschwächenden Marktsättigungserscheinungen ein strategischer Riegel vorgeschoben werde, gehen Unternehmen getreu der Devise "Ein Artikel, der sich nicht abnutzt, ist eine Tragödie fürs Geschäft" über Leichen und vergeuden im Sinne des unlimitierten Konsums einer Wegwerfgesellschaft, langfristige und irreparable Umweltschäden dabei billigend in Kauf nehmend, derart leichtsinnig wertvolle Ressourcen. Jenseits der Ausbeutung von Umwelt und Mensch findet Dannoritzer alternative Modelle zur vorherrschenden Unternehmenspolitik, die durch die Annäherung und Imitierung der Herstellungsprozesse an die Zyklen der Natur - "Die Natur kennt keine Abfälle, sondern nur Nährstoffe" - auf Schonung und Erhalt von Rohstoffen setzt und dabei jenseits eines  radikalen Konsumasketismus dennoch eine gewisse Sexyness zu Markte trägt. Abgerundet werden die drastischen Bilder durch die eingestreuten Statements von Designern, Umweltaktivisten und Unternehmern. Besonders beeindruckt hat mich die Stimme des entschiedenen Konsumkritikers Serge Latouch, der einen  kompromisslosen Paradigmenwechsel hin zu einer Wachstumsrücknahme fordert. Insbesondere die geltend gemachten kulturtheoretischen Befunde sowie die Implikationen einer Décroissance wirken in mir bis jetzt nach. Jenes Schlagwort
soll den ein wenig euphorischen Diskurs über ein mögliches, vertretbares und unendliches Wachstum stören und unterstreicht die Notwendigkeit eines Umdenkens, eines Ausstieges aus dieser Logik der Maßlosigkeit. Das Programm lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Reduzieren. Reduzieren wir die Umweltschäden, die Verschwendung, die Überproduktion, den übermäßigen Konsum. Wenn wir den Konsum und die Produktion reduzieren, dann wird Zeit frei, in der wir andere Formen des Reichtums entwicklen können, die so unerschöpflich sind, wie Freundschaft und Wissen.