26. Februar 2011

Sorrow found me

Lange Zeit waren meine Nächte traumlos, mein Schlaf tief, dumpf und ohne Unterbrechung. Seit einigen Wochen träume ich intensiv und äußerst bizarr. Bisweilen sind die vorbeirauschenden Szenen derart aufwühlend, dass ich schweißgebadet aufwache und mir die nächtlich geschauten Bilder noch den ganzen Tag über anhaften. Eineindeutige Versatzstücke stehen in diesen Träumen unvermittelt neben und zwischen rätselhaften Passagen, die durchsetzt sind von einer kryptischen Symbolik. Und wie alles, was ich intellektuell nicht fassen kann, strahlen sie gerade deswegen eine diffuse Bedrohung aus. Soviel subtiler Trennungsschmerz und offensichtliche Verlustangst, Nacht für Nacht vor wechseldem Hintergründen erfahren, gegen die ich machtlos bin.

24. Februar 2011

Die Linderungen der Phantasie

Da schreibt der berühmte Verfechter der virtù (Tatendrang des Menschen garniert mit allerhand Listenreichtum, perfider Manipulation und anderen Skrupellosigkeiten), dessen Name in heutiger Geschichtswissenschaft und politischer Theorie vor allem mit rücksichtslosern Machtstrategien unter Ausnutzung aller Mittel verbunden ist, also ausgerechnet jener in einem mathematisch-kühlen Satzbau kalkulierende Kopf, dabei zeitlebens an einer immanenten Kosten-und Nutzenrechnung orientiert, in einem Brief an seinen Freund Francesco Vettori die ergreifenden Zeilen: 
Wenn der Abend kommt, kehre ich nach Hause zurück und gehe in meine Schreibstube. Bevor ich hineingehe, ziehe ich mein Tageskleid aus, das voll Schmutz und Staub ist, und hülle mich in königliche Gewänder. Angemessen gekleidet, besuche ich die antiken Höfe der Alten, wo ich liebevoll aufgenommen werde, und weide mich an der Nahrung, die einzig mein ist und für die ich lebe. Dort schäme ich mich nicht, mit ihnen zu reden und sie nach dem Grund ihrer Taten zu fragen, und jene antworten...Vier Stunden lang  fühle ich keinerlei Langeweile: ich vergesse jeden Kummer, fürchte nicht die Armut, es schreckt mich nicht der Tod. Ganz versenke ich mich in sie.
Fühle mich an mich erinnert...

16. Februar 2011

Obsoleszenz

Nicht ohne Grund sind arte und 3Sat die mir verträglichsten Sender der deutschen TV-Landschaft, auch wenn ich wirklich sehr wenig in die Röhre schaue und Bücher bei mir stets den Vorzug genießen. Weil die dort aufgeworfenen Fragen noch lange nach dem Abschalten in meinem Kopf weiter rumoren und gedankliche Kreise ziehen und viele Sendungen den Verstand nicht mit billigem Fast-Food abspeisen, ihm hingegen ein mit intellektuellen Balaststoffen und außerordentlichem Nährwert angereichertes Buffet schwer verdaulicher Kost darreichen. Gestern beleuchtete ein Themenabend die künstlich herbeigeführte Veralterung eines Produktes innerhalb wirtschaftlicher Wertschöpfungsketten. Die Dokumentation Kaufen für die Müllhalde der Regisseurin Cosima Dannoritzer sucht dabei zu beleuchten, wie der kritische Konsument bei der geplanten Obsoleszenz zwangsläufig auf eine ökonomische Strategie im Produktionsprozess stößt, die mit dem Ziel des Erhalts der Konsumentennachfrage auf die gezielte Manipulation der Lebensdauer von Produkten - etwa durch Planung bewusster Schwachstellen oder Einsatz von Rohstoffen schlechter Qualität - setzt. Damit wachstumsschwächenden Marktsättigungserscheinungen ein strategischer Riegel vorgeschoben werde, gehen Unternehmen getreu der Devise "Ein Artikel, der sich nicht abnutzt, ist eine Tragödie fürs Geschäft" über Leichen und vergeuden im Sinne des unlimitierten Konsums einer Wegwerfgesellschaft, langfristige und irreparable Umweltschäden dabei billigend in Kauf nehmend, derart leichtsinnig wertvolle Ressourcen. Jenseits der Ausbeutung von Umwelt und Mensch findet Dannoritzer alternative Modelle zur vorherrschenden Unternehmenspolitik, die durch die Annäherung und Imitierung der Herstellungsprozesse an die Zyklen der Natur - "Die Natur kennt keine Abfälle, sondern nur Nährstoffe" - auf Schonung und Erhalt von Rohstoffen setzt und dabei jenseits eines  radikalen Konsumasketismus dennoch eine gewisse Sexyness zu Markte trägt. Abgerundet werden die drastischen Bilder durch die eingestreuten Statements von Designern, Umweltaktivisten und Unternehmern. Besonders beeindruckt hat mich die Stimme des entschiedenen Konsumkritikers Serge Latouch, der einen  kompromisslosen Paradigmenwechsel hin zu einer Wachstumsrücknahme fordert. Insbesondere die geltend gemachten kulturtheoretischen Befunde sowie die Implikationen einer Décroissance wirken in mir bis jetzt nach. Jenes Schlagwort
soll den ein wenig euphorischen Diskurs über ein mögliches, vertretbares und unendliches Wachstum stören und unterstreicht die Notwendigkeit eines Umdenkens, eines Ausstieges aus dieser Logik der Maßlosigkeit. Das Programm lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Reduzieren. Reduzieren wir die Umweltschäden, die Verschwendung, die Überproduktion, den übermäßigen Konsum. Wenn wir den Konsum und die Produktion reduzieren, dann wird Zeit frei, in der wir andere Formen des Reichtums entwicklen können, die so unerschöpflich sind, wie Freundschaft und Wissen.

14. Februar 2011

Mondays

Werde von einem melancholisch-soften Makes me wanna lose myself auf einer nicht in meinem Besitz geglaubten Platte in die Woche gespült. Lese, atme tief durch und strahle seit langem mal wieder...

13. Februar 2011

und metaphysische Tröstungen

Latente $$$

Signifikante Häufung von Nachtträumen, die den wirtschaftlichen Erfolg meiner Ex-Kommilitoninnen der Wirtschaftswissenschaften, wie sie ungeachtet irgendwelcher Quoten brav die Karriereleiter erklimmmen, zum Thema haben. Dazu die bittere Begleiterkenntnis, dass sich der Wechsel auf die schöngeistige Seite der Macht  trotz allen Wissenszugewinn zwangsläufig auf die eigene Prosperität niederschlagen wird. Was der Freud wohl dazu sagen würde?

11. Februar 2011

Lustige Lautung

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Ich kann seit einigen Stunden die Vorstellung, wie Hegel in seinen Vorlesungen in seinem behäbigen Schwäbisch immerzu "Absoluter Geischt" sagt, nicht mehr abschütteln und lache dabei Tränen.
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Jene Hegelianische Vorstellung überkreuzt sich dabei beständig mit meiner Entdeckung des Morgens: Eine Mogelkarte wies JFK bei seiner berühmten Westberliner Rede am 26. Juni 1963 den Weg durch das Aussprachedickicht des Deutschen und Lateinischen ans Licht der wohlgeformten Vokale.
In persönlicher Lautschrift der Reihe nach:

Ich bin ein Berliner!
Civis Romanus sum
Lasst sie nach Berlin kommen!



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Surplus: 
Die Moderne Sage der phantasiebegabten Amerikaner  bietet für mich jedoch das Sahnehäubchen. Demnach sei Kennedys Wendung von den Berlinern als „Ich bin ein Berliner (Pfannkuchen)" verstanden worden, worauf großes Gelächter ausbrach. Seitdem wird der monumentale Satz von diesen wie folgt persifliert: „I am a jelly[-filled] doughnut“

9. Februar 2011

sentimental stories

An gewissen Punkten meines Lebens werde ich immer wieder Opfer meiner Larmoyanz. Insbesondere Filme, die sich einer überbordenen Leidenschaft für Wissen und Forschen widmen und die menschliche Neugier an den Mannigfaltigkeiten des Kosmos zu beleuchten suchen, treffen bei mir ins Schwarze - und zwar directement. Ob amerikanische Kassenschlager wie  Good Will Hunting oder deutsche Variationen des Themas à la Die Päpstin, ob konservativ in Szene gesetzt (A beautiful mind) oder experimentell (Pi)ob pathetisch (Dead poets society) oder verstiegen (Das Parfum): Ich bin jenseits qualitativer Kriterien unwiderruflich gefesselt.

7. Februar 2011

So, so, fresh, fresh, so, so, fresh, fresh (touche)

Bei bestem Laufwetter und kurz vor Sonnenuntergang gerade meine Standardrunde gedreht und mal wieder festgestellt, dass alte Missy-Elliot-Platten wahre Wunder wirken. Wie eine fünffache Portion Adenosintriphosphat.
Ah, get back, aw, we about to, we about to hurt somethin'
Then you hear about how we keep the club jumpin'
We gon' tear the roof off this mother sucker
(jump, jump, jump, jump, jump)
 

Vive le Marketingcalcul!

Was wir dank Grebe längst wissen: Auch Anarchisten kämmen nachts heimlich ihr Haar. Was mich hingegen sonderbar erstaunt: Ein nicht unerheblicher Teil der Liebig14-Sympathisantenschaft greift  trotz linkshegelianischer Konsumkritik auf diverse beäpfelte Produkte zurück, säuft literweise Club Mate, trägt Converse und postet jene Konsumgewohnheiten an prominentester Stelle. Fast so als gäbe es hier eine geheime Überschneidungsmenge mit den Abkömmlingen der Feindeskaste; jenen young urban professionals schwäbischer oder skandinavischer Provenienz, die ihnen, den von Gentrifizierungsprozessen  (Mit-)Betroffenen, die Spielzimmer ihres (Non-)konfirmismus unter dem Arsch wegkaufen. Hinter jeder Ideologie, jedem alternativen Lebensentwurf  kommt, wie außerordentlich beruhigend, auch immer eine lebensweltliche Seite zum Vorschein.

6. Februar 2011

Im Zeitalter der Ähnlichkeit

Während draußen die dicken Tropfen beständig gegen die Fenster schlagen, ziehe ich mit staunendem Blick durch das Zeitalter von aemulatio, convenientia, Analogie und Sympathie. Stolpere dabei erstaunt über Sätze von  Bacon, Crollius, Campanella und vor allem Paracelsus, in einer mir weit entfernten Zaubersprache verfasst: zu gleicher weis als einer, der ein schaz eingrebt, in auch nicht unbezeichnet laßt mit auswendigen zeichen, damit er in selbs wider finden könne.

5. Februar 2011

Geheimnisvolles Saitenspiel

Schaurig-schöne Kilometer, die ich beim Joggen heute hinter mir ließ. Da der Ipod vorzeitig den Geist aufgab, wurde ich Zeugin eines akustischen Schauspiels: Im Humboldthain brachte Aeol nämlich die knöcherigen Ast-und Strauchsaiten derart fulminant zum Erklingen, dass ich, von den Klängen seiner Baumharfe verführt, abgetrieben den steinernen Weg unter den Füßen kurzzeitig verlor und über schlammige Wiesen lief, den Blick dabei fest an den wankenden Bäumen festgenagelt. Als ich nach Hause kam, war der Matsch an der Laufhose  kniehoch hinaufgewandert und wurde von schwäbischen Mitte-Aristokratinnen äußerst kritisch gemustert.

(Ver)sehen

Eine längere Kontroverse mit F. stieß mich auf meine Neigung zur Theoretisierung selbst des harmlosesten Wahrnehmungsaktes. Als ob mein Blick beim bloßen Schauen immer schon um die Ecke denkt und ihm dabei spontane Perspektiven entgehen. Vielleicht um nicht vorschnell einem blinden Absolutismus auf den Leim zu gehen, der statt vermeintlich kritischer Potentiale des Begriffes permanent auf phänomenologische Evidenzer-lebnisse der Sache selbst setzt? Daher merkwürdig und folgerichtig zugleich, dass mir gerade die pragmatischste aller Lesarten von Las Meninas, demnach Velázquez sich und seine Modelle im Spiegel malt (sog. Spiegelbildthese), anfänglich am weitesten entfernt erschien. Ebenso seltsam hat ausgerechnet diese These, die nahezu ohne verbissenes Nachrechnen, wilde Konstruktionen und argumentative Belegketten auskommt und die mir nach den Erläuterungen F.'s -  immerhin selbst in der künstlerischen Praxis erprobt - immer einleuchtender schien, in der Kunstwissenschaft eine Außenseiterposition inne. 
Oh, Du zweifelhafter Verstand mit Deinen Chimären!

4. Februar 2011

L'Archéologie du savoir

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Würde ich, erfolgreich habiliert, an das renommierte Collège de France berufen, würde ich den Lehrstuhl D’Histoire des systèmes de pensée wählen. Doch scheinbar gibt es den gar nicht mehr. Quel dommage! Nein, mal ernsthaft: jammerschade!
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Am Ende einer Diskussion mit dem von mir hoch geschätzten K., nach eigenen Angaben Vetreter eines kritisch-aufgeklärten Kemalismus, über das Lebensgefühl innerhalb linker Bildungseliten (in) der Türkei, brachte er, von meiner spröden Polemik angestachelt, auch ein für ihn überzeugendes Argument hinsichtlich der Attraktivität eines Lebens in Deutschland auf den Tisch. In seiner Anfangszeit hier, so berichtete K. offenherzig, war er sehr erstaunt darüber, wie flächendeckend im öffentlichen Nahverkehr Berlins und  Kölns gelesen wird. Und auch wenn ich spitzbübisch hätte einwenden wollen, dass vor allem das Boulevardblatt mit vier Buchstaben (und seine nichtsnutzigen Brüder und Schwestern) darunter oft eine Mehrheit stellt, Recht hat er! Seitdem erwische ich mich regelmäßig dabei wie ich, wann immer ich die S-Bahn betrete, klammheimlich Leserquoten berechne.
***
Der beste Satz, den ich seit langem gelesen habe: Zweiunddreißig Jahre bin ich als Erloschener durchs Leben gegangen und habe mich dabei wohlgefüht. Photos beweisen, ich war bereits ein erloschenes Kind.

3. Februar 2011

Was sind wir menschen doch? ein wohnhaus grimmer schmertzen.

Ein baall des falschen glücks/ ein irrlicht dieser zeit.
Ein schawplatz herber angst/ vnd wiederwertikeit/
Ein bald verschmelzter schnee vnd abgebrannte kertzen.

Heute morgen in der S1, vor Wind und Wetter in wohliger Wärme geborgen, einen Sitzplatz ergattert, da scheinbar alle Berliner Eltern daheim geblieben, ich also durch ihre unerwartete Absenz mit einer erstaunlichen Auswahl konfrontiert, zählte ich 10 Todesfälle im engeren Familenkreis Andreae Gryphii. Wem in den ersten zwölf Lebensjahren Vater und Mutter hinweggestorben und darüber hinaus von sieben Sprösslingen nur zwei geblieben waren, davon eine Tochter, die "in ihrem fünften Jahre aus unbekannten Gründen plötzlich auf[hörte] zu wachsen, [...] das Gehör und das Gedächtnis [verlor] [...] [und] im 44. Lebensjahr im Hospital zu den Elftausend Jungfrauen in Breslau [starb], dem sei, was derartige Erwägungen hinsichtlich des menschlichen Kosmos' betrifft, entschieden beigepflichtet.

2. Februar 2011

In corpore sano

Wie sehr mein Körper es mir dankt, dieses tägliche Maß an Bewegung. Mit Endorphinausschüttung und intellektueller Power bis in die Nächte hinein. Und auch wenn M. und ich - in den aschfahl-lichtlosen Morgenstunden wie ruhende Tiere Haut an Haut unter Daunen eng  aneinander gerückt, ineinander verschlungen - unsere Unfähigkeit, Winterschlaf zu halten, mit einer unvergleichlichen Intensität betrauern, so verblüfft mich andererseits der beglückende Rausch nach jeglicher körperlicher Belastung. Ob rennend, schwimmend, radelnd oder squashend, unmittelbar nach der sportiven Ertüchtigung befragt, würde mein Körper derzeit zu Protokoll geben, dass der Winter ruhig noch eine Weile andauern kann. Nur das Frisbeewerfen und das Barfuß-über-Wiesen-laufen fehlt ihm. Muss er sich wohl noch eine ganze Weile gedulden, der Arme!

1. Februar 2011

Le monde c'est moi

Mein Anthropomorphismus: Im Mauerpark tänzelt  unter einem schweren, bleigrauen Himmel kopfnickend eine Gruppe Nebelkrähen zwischen vereisten Grashalmen rhythmisch zu No Cars Go von Arcade Fire, während ich auf meinem Fahrrad behutsam vorbeischleiche.