30. November 2010

Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden

Sollte irgendwann in ersehnter Zunkunft der Dr. phil. meinem jetzt schon pompösen Namen alle Ehre machen, sich zum Buchstabenwust hinzugesellen, und, weil M. ihn freundlicherweise dort appliziert hat, an meinem Briefkastenschildchen prangen, ist die Zeit herangebrochen, in der es alte Missionen abzuschließen gilt. Akademisch bestätigt und zur Teilnahme am Wissenschaftsdiskurs legitimiert, im besten Fall nach wie vor dazu berufen, ist genau dann der richtige Augenblick gekommen, dem vergessenen Lyriker Hesse, vorschnell von denen, die keine Augen haben zu sehen, dem Kitsch zugeschlagen, die verdiente und längst überflüssige Rehabiltation, den lang verschmähten Dichterpreis zukommen zu lassen. Ihm endlich einen Schrein inmitten krittelnder Literaturwissenschaft zu errichten. Mit postmodernglänzendem Lorbeer bekränzt, so wahr ich hier stehe schreibe! Dafür bündele und mobilisiere ich mein gesamtes epistemologisches, ästhetisches und (post-)strukturalistisches Expertentum, um auch den letzten Naserümpfenden zu überzeugen! Jawoll!

Dunkelste Stunden

Das sind die Stunden, die wir nicht begreifen!
Sie beugen uns in Todestiefen nieder
Und löschen aus, was wir von Trost gewußt,
Sie reißen uns geheimgehaltene Lieder
Mit blutend wunden Wurzeln aus der Brust.

Und doch sind das die Stunden, deren Last
Uns Stille lehrt und innerlichste Rast
Und die zu Weisen uns und Dichtern reifen.
...und ganz viel Erinnerung an F.- in melancholichen Portiönchen, die ich gerade noch tragen kann.

29. November 2010

Pendalum mobile

Der Montag hat mir stets nur wehes Klagen eingebracht, schon weil ich an einem solch' bitteren Tage das Licht der Welt erblickte. Von geburtstäglichem Rückenwind seither nichts zu spüren, my dear. Statt nämlich frisch und munter in die Woche zu starten, ausgerechnet dies! "Froilein, ick weeß ja nich, ob et Ihnen schon uffjefallen is, aber wo is'n Ihre Pedale jeblieben?" Scherzkekse! NEIN, natürlich ist es mir noch NICHT aufgefallen, dass ich auf einem Metallstumpf - das, was von dem guten Stücke übrig blieb - balancierend den Scheißdrahtesel hurtig weiter nach vorn bewege und dabei aussehe wie, pardon, eine Teilnehmerin der Paralympics...Nein, natürlich NICHT. Danke, dass Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben. Ich wäre sonst, ohne es zu merken, weiter wie ein Idiot durch die Straßen getrullert, weils SO ERSTAUNLICH VIEL Spaß macht.

Gipfelstürmer in Pantolette

C. hatte das mal wieder glasklar erkannt. Der Gipfel der Biederkeit kulminiert im Prenzl' Berger Pantoffelhort. Rückzugsort bürgerlicher Gemütlichkeit aus ökologisch zertifiziertem Walkfilz.

28. November 2010

Les mots et les choses

Würde eine hymnische Lob- oder Grabrede minuziös über mich verfasst und feierlich auf mich gehalten, müsste, so hab ich mir überlegt, meiner ausgeprägten Graphemophilie (reminiszenz-)artig Ausdruck verliehen werden.
Notabene: Alle meine Freunde und Verehrer wären demnach genötigt, folgende meiner Lieblingsworte aus unterschiedlichen Sprachen darin unterzubringen: martialisch, Hagestolz, anheim fallen, mondsüchtig, Verblendungszusammenhang, Hinterlist, luzide, sonor, appropinquare, Fräuleinwunder, Zeitlichkeit, entbergen, disentangle, Chuzpe, Obdachlosigkeit, prästabilierte Harmonie, Wegbier, possierlich, hanebüchen, Kinkerlitzchen, stibitzen, Schibboleth, Tannenzapfen, Paradigma, Wankelmut, Agonie, ungestüm, Inselbegabung, konspirativ, Schlingel, prosaisch, Skandalon, Aventüre, Bildersturm, Verve, withdrawal, Flausen, Levithen lesen, riot, Schlingel, mirakulös, Trutzburg, Fisimatenten - to be continued...
Nichts passt zusammen und alles zerbirst. Wär das ein Spaß :)

24. November 2010

παρένθεσις

Beim Anblick meines gegenwärtigen Kontostands wird eine Erinnerungsmaschinerie unwillkürlich in Gang gesetzt, die vom Langzeitgedächtnis artig memorierte Fragmente an die zahlreich besuchten und darunter am wertvollsten empfundenen Seminare meiner sich zum Ende neigenden Studienzeit wachruft. Demnach sei das Geld am besten beschrieben als inkorporierte Arbeit in Parenthese.

Diese messerscharfe begriffliche Präzision im Jammertal der Geisteswissenschaften ist nicht nur höchst erstaunlich, sondern schlichtweg bewunderswert.

23. November 2010

Des Fräuleins Grillen

Et voilà: Heute ein Ausschnitt aus dem Kapitel "Wie bekomme ich meine spontanen Anfälle infantiler Provinienz, sprich: zickenhafte Rachegelüste, besser unter Kontrolle?". Die Miss, Hauptprotagonistin dieser Miniatur, auf dem Weg zur Arbeit. Der Kaffee war kaum durchgelaufen, da musste sie auch schon den Turbo einlegen, schnell in die Fellstiefel und aufs Rad geschwungen. Der Kaffeetassenrand blieb derweilen von ihren anschmiegsam-gierigen Lippen unberührt.

Angesichts der fortgeschrittenen Stunde ad hoc (um)entschieden, geriet der neueste fräuleinsche Plan, die S-Bahn zu nehmen, zu einem unvorhergesehenen Desaster. Wann immer die Miss im Stress ist, schafft sie sich mit Musik Abhilfe. Während die sidoesken Handyspeakerattacken einer sitzbenachbarten viereinhalbköpfigen Mädchenmannschaft durch ihre penetrante Stetigkeit den Stein der Geduld - trotz wohltemperiertem Eagles of Death Metal-Soundteppich - allmählich zu höhlen begannen, war der teuflische Plan längst geschmiedet. Bei der Ansage "Nächste Station Potsdamer Platz: Übergang zu den S-Bahn-Linien S2 und S25 und zur U-Bahn-Linie U2" funkelten Fräuleins Augen tückisch und voller Vorfreude. Bevor die Pubertierenden die Tür erreicht hatten, war eine, die lindsaylohanhafteste unter ihnen, bereits über das subtil ausgestreckte Bein des Fräuleins gefallen, die im Angesicht des Sturzes innerlich tausend Sektkorken gleichzeitig zum Knallen brachte.

Bleibt bloß zu hoffen, dass das Opfer den Pimkie-Shop in den Potsdamer-Platz-Arkaden noch rechtzeitig erreicht hat, but who knows?

Und die Miss: Statt Reuegefühle zu hegen, erfreut sie sich übrigens noch immer an ihrer praeadoleszenten Grillenhaftigkeit.
Ein Blick ins Wörterbuch hilft dem aufmerksamen Leser auf die Sprünge (Eingeweihte bitte überspringen):
Grille, f. , heimchen; laune.
...
2) närrisches gebahren, faxen, possen, dann auch abstracter: närrische, lustige einfälle (auch im mnl. reich entwickelt Verwijs-Verdam 2, 2140): grille possenreiszung, gestus, gesticulatio Henisch 1743; grillen treiben, possen treiben gesticulari, gestire 1744; grillen gesticulationes et gestus ridiculi Stieler 702; im 16. jh. sehr häufig, im 17. allmählich erlöschend; nur im plur. gebräuchlich:
...
das ist ein alte lumperey,
possen, grillen, esels gschrey
Spangenberg-Fröreisen griech. dr. 2, 213 lit. ver.;
3) hauptbedeutung: seltsame, wunderliche einfälle. auch hier tritt in älterer zeit, bis ins 17. jh., gelegentlich concreterer gebrauch auf: seltsame geschichten:
a) das phantastische, unwirkliche wird stärker betont: hirngespinst, einbildung, erfindung, täuschung; oft, aber nicht nothwendig, mit dem nebenbegriff des schrulligen; in älterer sprache gern religiös gewendet: dass noch ein jeder phantast seine närrische einfäll und thorechte grillen mit h. schrift behaupten will Grimmelshausen vogelnest 2, 388 Keller; hinweg mit allen fleischlichen, irrdischen, mahometischen
b) das unbegründete, willkürliche, launische wird stärker betont: marotte, schrulle, bizarrer einfall; bisweilen mit dem nebenbegriff des eigensinnigen oder mehr durativ: fixe idee.
Frei nach dem Motto Vergnügen auch für Nicht-Philologen oder die Existenzberechtigung geisteswissenschaftlicher Forschung sei allen Freunden etymologischer Ausführungen, die darüber hinaus Liebhaber der deutschen Sprache sind, der digitale Grimm übrigens wärmstens zu empfohlen.
Confessio of the day: Sie bekennt sich mit einem Hauch von Stolz schuldig in allen Anklagepunkten.

22. November 2010

Vertigo

Streuselbeschneckt und mit transportabler Koffeinquelle bewaffnet, führt der Weg M. und mich an die Grenzen der Stadt. Während draußen die knöcherige Tristesse vorbeizieht, sich Sturzbäche über Tonnen von Spritzbeton und verfallene Bahnanlagen ergießen, steht M.s Welt Kopf – wankt und dreht sich schon seit Tagen. Wackelig und schwach auf den Beinen, stapft er voraus und ich, im Falle weiterer Schwindelattacken zur kaum brauchbaren Stütze auserkoren, hinterher. Als das sparsame  Tageslicht sich in einer flüchtigen Regenpause unerwartet auf den Wasserlöchern der Vorstadt zu spiegeln beginnt, pocht mir die Angst – wie seit langer Zeit nicht mehr -  bis zum Hals. Als M., aufgerufen, sich taumelnd vom Platz neben mir erhebt, aus dem Wartezimmer in das Sprechzimmer verschwindet, kann ich dem Druck, den ich schon eine halbe Stunde tapfer unterdrückt habe, nicht länger standhalten. Ein gegenübersitzender Patient im Alter meines Opas reicht mir liebevoll ein Tempo und als M. zurückkehrt, habe ich die Fassung längst wiedererlangt.

21. November 2010

Und täglich grüßt das Murmeltier :)

Das kleinteilige Relaunchen kann einen echt wahnsinnig machen, jedoch bedarf die Entäußerung in die digitale Welt da draußen einer gewissen Stilistik. Palimpsestartig wird nun eine Sinnschicht über die andere gelagert, der Raum zwischen den Zeilen textuell und bildlich angereichert. Gleichzeitig steigt das Risiko eines cholerischen Anfalls proportional zum größten winzigsten Fortschritt. Indes besänftigt mich der weise Sinnspruch des Weimarschen Wappentiers:
"Hammer zu sein scheint jedem rühmlicher und wünschenswerter als Amboß, und doch - was gehört nicht dazu, diese unendlichen, immer wiederkehrenden Schläge auszuhalten!"

18. November 2010

Chase the Devil

Welch ein Morgen! Jesse „The Devil“ Hughes bringt mich auf Hochtouren und statt neben Bombenrucksäcken S-Bahn zu fahren, schwing ich mich bei Niesel aufs Rad. Und siehe da: Die Fettärsche sind endlich zu Hause geblieben oder bieten ihr lahmes, hängendes und vergammeltes Fleisch den anderen ÖPNV-Nutznießer als Pufferzone für den Ernstfall dar, wenn das TNT zündet. Vielleicht werden ja auf diesem Weg zivile Opfer vermieden? Für mich heißt das erst einmal: Volle Kraft, voraus! Unter nackten zitterig-mageren Baumgreisen entlang, fühlt sich das hingerotzte Gonna chase the devil tonight. They chase the devil tonight. wie Kalaschnikow und kugelsichere Weste gleichzeitig an. I love it ♥

16. November 2010

Wann kommt der Sandmann mit dem Sand und fährt mein Boot an die Wand?


Wenn die Müdigkeit einen fast erschlägt, die Mattigkeit  bereits benommen macht, alle Sinnkategorien unfreiwillig durcheinander wirbelt, man seinen Namen beinahe minütlich vergisst, geschweige denn weiß, wo die letzte Stunde eigentlich geblieben ist, ist es Zeit nach diesem heldenhaften Tätigsein, endlich schlafen zu gehen. Auch, wenn die Stunde noch nicht mal Mitternacht geschlagen hat.

15. November 2010

Mit der Tür ins Haus

Beinahe so, als hätten die paar Sonnenstrahlen heute morgen alles wieder gut gemacht...


gehört Kings of Leon- Come Around Sundown rauf und runter, alte Blur und Nirvana-Platten, Info-Radion rbb
gesehen einen ultraschlechten Boxkampf im Zeitrafferformat, zum Glück! War nämlich schon sehr schläfrig...
gelesen Friederike Mayröcker, Bob-Dylan-Biographie, Dr. Erich Kästners lyrische Hausapotheke
getan Bewegung, Bewegung, Bewegung und viel Schlaf
getrunken Non-alcoholics
gegessen Käsekuchen, Choco-Cookies und viel Fisch, natürlich nicht zusammen ^-^
geärgert über diesen Scheißregen...grrrr!
gedacht so langsam wird um mich herum nicht nur am laufenden Band Nachwuchs produziert, sondern auch geheiratet wie verrückt. Pah! Von wegen Rebellentum! Scheinbar alles wie seinerseits bei Mutti und Vati. Die Heiratszulage ist in einschlägigen Berufsfeldern jedoch auch nicht zu verachten, da scheißt man scheinbar auf die lang gepflegte Hippie-Attitüde!
M. hat mit seinen Hasstiraden auf die Wegwerfgesellschaft sowas von recht...
geplant daher möchte in Zukunft ein wenig umsichtiger und nachhaltiger konsumieren, ohne gleich in Sozialutopien und Marxismussermon zu zerfließen...
gewünscht über die konstante Fähigkeit zu verfügen, den kleinen Dingen größeren Raum zu geben.
gekauft Endlich! Ich nenne seit gestern Abend ein neues BILLY mein eigen. Leider stellte sich bei der Umräumaktion bisher obdachloser Lektüre heute heraus: Zwei wären vielleicht besser gewesen. Wer zum Teufel hätte denn gedacht, dass alle auf dem Schreibtisch versammelten und hochgestapelten Bücher ein ganzes Regal beanspruchen? Hmm, vielleicht ein paar Aufsätze zu Weihnachten?
geklickt ebay und Wikipedia: Ich weiß jetzt einfach alles über die Entwicklungsgeschichte und Tradition des Karnevals. Hat mich eh schon immer gewundert, was die am Rhein da alljährlich so treiben.
gehofft dass die Antifaltencreme die Furche unterm Auge nicht nur "optimal mit Q10 versorgt" und die Haut "revitalisiert", sondern mit ein bißchen Hokuspokus auch ein bißchen glättet...

13. November 2010

Schwindende Lichter


Erloschen ist alles Gold. Alle Farben gänzlich zu Boden gefallen. Die bunten Herbstsplitter von so manch kräftiger Böe einfach weggeweht, von blassen Passanten achtlos platt getreten. Regentropfen schlagen im halbstündlichen Turnus an die Fenster. Sogar den Berg hinunter muss ich treten, damit ich auf dem Fahrrad vorwärts komme. Wind fegt mir durch die Haare und meine Augen tränen vom Blinzeln in den Gegenwind. Im Angesicht der schwindenden Stunden Tageslicht steigt beklommenes Gefühl in mir auf. Während Herr Mond fahl-milchig und sichelhaft durch mein Fenster scheint, wird mir klar, dass der schönste Teil des Herbstes bereits hinter mir liegt. Und wie schnell das doch gegangen ist. Vor knapp einer Woche hielt der Baum vor meinem Fenster noch standhaft an seinen Blättern fest, nun zähle ich kein einziges mehr an seinen Ästen. Irgendwie alles ganz und gar lebensfeindlich da draußen, denke ich. Das diffus-verwackelte Licht der Kerzen legt sich wie ein dämpfender Film über das Fürchten vor der winterlichen Dunkelheit und ich denke daran, wie still die Natur  jetzt da liegt und alles Leben sich zurückgezogen hat, in Dunkelheit und Erstarrung zusammengefercht. Es hilft alles nichts, kann ich mich doch nur zeitweilig selbst zusammenkrümmen. Einigeln bis der Körper durch das Liegen ganz und gar matt wäre, schmerzte von der Winterschlafpose...Es bringt nichts, muss ich doch hinaus in die unwirtliche Kälte, mich Tag für Tag dem ungemütlichen Durchzug zwischen Plattenbauten aussetzen, beim Vorbeigehen Massen blasser Gesichter mit leeren Blicken registrieren, während die klamme Kälte in jede meiner Poren dringt. Ein Meer urbaner Trostlosigkeit, da hilft auch all das nächtliche Spiel auf Pfützen sich spiegelnder Taxilichter und Straßenlaternen nichts, die erleuchteten Wohnungen machen nichts besser. Ich glaube, langsam steigt mir das alles hier zu Kopf. Ich geh mir also mal schnell einen Tee machen.

11. November 2010

Danke, Jungs!

Ungeachtet vorschneller Kritikerstimmen, die die angeblich mangelnde musikalische Experimentierfreude mit einem halb aufstampfenden Fuß monieren: Besonders in kalten Spätherbstnächten ist dies mein Balsam für die Seele! Für mich ein Album, das genau jene Lieder versammelt, die gaaanz viel sommerliche Wärme verströmen. Ohne die der lange und von den Meteorologen bisher als "DER KÄLTESTE" angepriesene Winter kaum zu überstehen sein wird ♥
If you give up New York, I'll give you Tennessee,
the only place to be.






Adoleszente Entbehrungen

Gerade noch dort gewesen. Und auf einmal stehe ich am Bahnhof Wannsee, hat mich plötzlich der Alltag wieder. Vom einfahrenden Zug ausgespuckt, kommt die Realität schnurstracks in mein Leben zurück, in dem Rechnungen bezahlt, Wäsche gewaschen und Essen gekocht werden müssen, in dem das Meeting um Punkt 17 Uhr beginnt, zwei neue Korrekturfassungen warten,  ich mein Studium nun endlich abschließen und der ganze Ebay-Kram schleunigst verschickt werden muss. Vorbei die kurze Zeit familärer Geborgenheit, in der ich mich um nichts kümmern musste, einfach alles da war, nichts fehlte. Welcome back im Hamsterrad meines Lebens! Die Vorstellung vom entspannt schnurrenden Samtpfötchen erleichtert das wehmütige Herz und macht den Beinchen das Laufen zumindest etwas erträglicher.

9. November 2010

Ein Stück Zuhause

Trotz nasskalter Witterung hat das frühwinterliche Draußen einiges für mich zu bieten. Staunend bin ich um Prinzessinnenschlösser und  durch verwunschene Zauberwäldchen gelaufen, während sich die Rabenvögel zum gemeinsamen Schläfchen auf den Dächern der Fachwerkstadt krächzend versammelten. Traumhaft schön!









8. November 2010

Das Kindsein verlängern


gehört ganz viel Hot Chip, Bob Dylan, Last.fm-Rockradio
gesehen Natur statt Fernsehen
gelesen Jacques Rancière - Das Unvernehmen, Simons Katze, im Sinne der Magisterprüfung: einmal quer durch die Kleist-Forschung
getan erste Wochenhälfte: Broterwerb und Bibliothek, gegen Wochenende: Der Metropole zugunsten der Provinz den Rücken gekehrt, dabei 1. die morbide schaurig-schöne Spätherbstnatur bestaunt, 2. ordentlich Randale gemacht als der Kleinstadtclub um halb vier das Licht anmachte, 3. braun gebrannten BWLern eine astreine Luftgitarre vorgeführt (Mann, waren die neidisch!), schließlich 4. Cocktails im Mund zubereitet und in Actionpose serviert und 5. nach der Schlaflosigkeit und den nicht enden wollenden Bewegungsorgien endlich ausgeschlafen und zum Abschluss 6. nach langer, langer Zeit eine ganz alte Freundin aus Kindertagen wiedergetroffen: Hach, wie schön!
getrunken Teechen, Bierchen, Wässerchen
gegessen Unmengen an leckeren Speisen: Soljanka, Kartoffensalat und Würstchen, Backcamembert und ganz viel leckeren und selbstgebackenen Kuchen
geärgert über das mangelnde Profil meiner Asics: ein einziges Gerutsche im Schlamm!
gedacht 1. es liegt noch eine Menge Arbeit vor mir 2. diese nächtliche Stille, die nur vom Läuten der Kirchturmglocke unterbrochen wird, ist einfach phänomenal!
geplant die nächste Walpurgisnacht auf dem Hexentanzplatz in Thale zuzubringen
gewünscht öfter hier zu sein: bei den Großeltern und bei Cousin, Tante und Onkel, also öfter an den Ort zurückzukehren, mit dem mich zwar nur wenige Kindheitserinnerung verbinden, der jedoch immer ein Stück Heimatgefühl versprüht
gekauft Simons Katze und einen wunderschönen Kurzmantel mit Riesenkragen (Juchu, der Winter kann jetzt kommen!)
geklickt wikipedia, Last.fm
gehofft dass mir noch viele Stunden mit der Familie bleiben, dass es meiner Mom bald besser geht

6. November 2010

Grau, grau, grau sind alle meine Kleider

Leaving the city...das bedeutet auch: die Ansammlung urbaner Gräue hinter sich lassen. Zur Ruhe kommen, der permanenten Rastlosigkeit mit Naturbildern und Spaziergängen Abhilfe leisten, ausschlafen und den Gedanken freien Lauf lassen. Bedeutet loslassen, sich treiben lassen, dem äußeren Grau eine innere Buntheit entgegen zu setzen.


2. November 2010

Am Schreibtisch kann ich ein kleines bißchen fliegen (Jurek Becker)

... und ich bekomme vom vielen Sitzen regelmäßig Desktop-Koller und greife dann rein prokrastinatorisch sozusagen zu meinen fast ausgetrockneten Filzern aus Kindertagen und produziere bunte, recht unproportionierte Bildchen.

Fuzziness

"Fuzzylogik (engl. fuzzy ‚verschwommen‘, fuzzy logic, fuzzy theory ‚verschwommene Logik‘ bzw. ‚verschwommene Theorie‘) ist eine Theorie, welche vor allem für die Modellierung von Unsicherheiten und Unschärfen von umgangssprachlichen Beschreibungen entwickelt wurde. Sie ist eine Verallgemeinerung der zweiwertigen Booleschen Logik. Beispielsweise kann damit die sogenannte "Fuzziness" von Angaben wie "ein bisschen", "ziemlich" oder "stark" mathematisch in Modellen erfasst werden. Die Fuzzylogik basiert auf den Fuzzy-Mengen (Fuzzy-Sets) und sogenannten Zugehörigkeitsfunktionen, die Objekte auf Fuzzy-Mengen abbilden, sowie passenden logischen Operationen auf diesen Mengen und ihrer Inferenz. Bei technischen Anwendungen müssen außerdem Methoden zur Fuzzyfizierung und Defuzzyfizierung betrachtet werden, das heißt Methoden zur Umwandlung von Angaben und Zusammenhängen in Fuzzylogik und wieder zurück, zum Beispiel als Stellwert für eine Heizung als Resultat."
Alles klar? Ich liebe Mathe! Am innigsten und heißesten, wenn der glorreiche Grant-Lee Phillips im Hintergrund trällert ♥
Vive les Fuzziens!

31. Oktober 2010

In Jahr 2 der neuen Zeitrechnung



gehört Led Zeppelin, Helden, Petty & the Heartbreakers
gesehen --
gelesen viel zu wenig
getan mich an Vieles erinnert und in überreichen Bildern versunken, geweint, gelacht, Bier getrunken, Kisten geschleppt, grundlos gepöbelt, auf Autodächer geklettert, dem Polizeipräsidenten 70€ für meine Rotlichtfahrt überwiesen
getrunken morgens: Coffee, abends: Beer
gegessen Kuchen
geärgert über meinen rebellischen Magen
gedacht 1. ohne euch ALLE hätte ich das vergangene Jahr nicht überstanden! 2. Der Boden kam sehr langsam unter meine Füße zurück und das Darauflaufen lernen erwies sich als eine äußerst langwierige Aufgabe 3. Ja, ich weiß, es war 'ne geile Zeit!
geplant F. öfter zu besuchen und von der Bank aus mit ihm zu sprechen.
gewünscht dass diese Freundschaften nie wieder vergehen.
gekauft die abgegebene EC-Karte hat alles verhindert.
geklickt --
gehofft dass der Boden mich weiterhin trägt und die Erinnerungen lebendig bleiben.

29. Oktober 2010

It's been a while...

Since I could hold my head up high
and it's been a while
Since I first saw you
It's been a while
since i could stand on my own two feet again
and it's been a while
since i could call you
But everything I can't remember as fucked up as it may seem
the consequences that I've rendered
I've stretched myself beyond my means


Today: the day you died last year.
Memories...
all my love for you!

28. Oktober 2010

Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen. (Kant)

Trotz megafrühen Aufstehens und des beständigen Laufens im Hamsterrad der Arbeit fühle ich mich lebendig und frisch. Von folgendem Foto, das ich heute morgen - in Erwartung der angesagten Schauer ausnahmsweise Bahn fahrend -  entdeckt habe, fühle ich mich seitdem nahezu kindlich erheitert. Da wird das Knockin' on Heaven's Door mal ganz wörtlich genommen.

27. Oktober 2010

Doch nicht jetzt...



Dass die schönsten, begehrenswertesten und vor allem langersehntesten Dinge immer dann zu einem kommen, wenn man wirklich nicht mal eine Sekunde darauf ver(sch)wenden darf, ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit! Ein einfaches Klingeln des Postmanns reicht da manchmal schon aus, um den quälenden Ausnahmezustand herbeizu-führen.
Durchlauchtester Alexander, sei Er also nicht allzu nachtragend mit mir und gedulde Er Sich noch bis zum Wochenende.
Ich werde bis dahin alle Kraft zusammennehmen, Ihm in geistiger Keuschheit ergeben, nicht schon vorher den Verlockungen zu verfallen, die die sündenhafte Curiositas angestachelt!
Hochwürdevoll und Ihm zutiefst ergeben.
Ihre Sie

*Anamelodischer Schock*

Zugegeben, ich leide definitiv an einem chronischen Ohrwurm-Syndrom. Bevor dieses mich zum ersten Mal überfiel, waren alle Anfangsstadien schon weit überschritten und ich in die letzte Phase eingetreten. Wehrlos werde ich seitdem Opfer meiner unkontrollierbaren Symptome, die Musik aller Art in den ungelegensten Momenten auslöst. Ob von Gould eingespielte Bach'sche Fugen, Rotzgitarren von Guns'n'Roses, Lady-Gaga-Pop oder George Harrisonianische Sitar-Allüren. Ich reagiere! Oft bin ich dann nicht mehr Herr meiner Sinne, zwingt mich die herbeinahende Musik, ganz egal, wo ich mich gerade befinde, zu Überreaktionen und unfreiwilligem Kontrollverlust. Oh Mann, wie oft ich wohl schon mit Schaum vor dem Mund im Supermarkt auf prall gefüllten Maggi-Suppenterrinen mein Drummer-Stelldichein gab, oder in der Vorlesung unter dem Tisch beherzt die Luftgitarre griff, von spontanen Sing-und Summspielen mal ganz abgesehen. Dieser Klassiker Diamond'scher Schule hat es mir dabei besonders angetan, manchmal wache ich schon morgens mit dem "Love you so much can't count all the ways I'd die for you girl" im Ohr auf  und denke dabei freilich immer zuerst an die zauberhafte Uma Thurman bevor ich mich aufs Fahrrad schwinge.

26. Oktober 2010

Home, sweet home...



Das Nachtarbeiten geht in die nächste Runde. Jedoch ist es bei dem warmen Licht, was sich sachte auf der Seidentapete spiegelt und dem lecker riechenden Kaffee gerade noch zu ertragen, dass ich schon wieder eine Nacht verschenken muss, in der ich tausendmal lieber unter meiner kuscheligen Decke in die Reiseberichte eines Alexander von Humboldt versinken würde.

25. Oktober 2010

Wenn die Nach(t)arbeit ruft


Dieser Tag will einfach nicht enden, dabei liegt der achstündige Broterwerbsdienst längst hinter mir. Also blitzschnell Kaffee gekocht und ran an den wild durcheinanderschreienden Haufen von Aufgaben und schnell Schnick Schnack Schnuck mit Hegel, Adorno, Kleist und den längst überfälligen Redaktionstexten gespielt, wer den zeitlichen Zuschlag erhält. Zur Absicherung eines produktiven Arbeitsklimas sei noch schnell für den Radioheadschen Soundteppich gesorgt, während der motivatorische Worksong längst zum Chorus anhebt: "Wir singen: Ohne Arbeit wär das Leben öde, also sing ich müde meine kleine Ode: An die Arbeit!"

24. Oktober 2010

More than this - 2 ème rétrospective

gehört Neil Diamond: rauf und runter, Led Zeppelin Remasters, Kings of Convenience
gesehen Luis de Funès' Muskatnuss...Herrlich! und immer wieder diese wunderbare Szene aus Lost und Translation...*träum*
gelesen Kleist - Der Findling, Der Zweikampf, Heiner Müller -Krieg ohne Schlacht, Studienordnungen, Lucky Luke,  ZEIT Magazin
getan gearbeitet, geschrieben, geschrieben, geschrieben, jeden Tag bis 22 Uhr in der Bibliothek gesessen...und zum Abschluss der Woche: gefeiert, abgestürzt, am Boden rumgekrochen und wieder auferstanden

getrunken einen Gin Tonic zu viel
gegessen feinste mexikanische Spezialitäten
geärgert über den Lautstärkeregler meines Ipods und über das garstige Wetter
gedacht Spracherschütterer einerseits (darunter: Kleist, Brinkmann, Jelinek) und andererseits Wortbelaster (Niebelschütz, Jahnn, Heidegger) erscheinen mir die spannendsten unter den Schreiberlingen
geplant einen alkoholfreien Monat auszurufen
gewünscht Urlaub, einen Kurzmantel mit Riesenkapuze
gekauft Tintenpatronen, Chocolate Cookies und ein Oberteil von NÜMPH
geklickt mit glühender Neugier nach neuen Artikeln von Herzscheiße Ausschau gehalten und ganz viel in der digitalen KGW gestöbert
gehofft dass auf die kommenden dunklen Stunden hellere folgen...

23. Oktober 2010

Vielleicht lieber morgen



Welch ein Abend, ein wunderbarer! Dem habe ich mit dem größten Vergnügen noch den heutigen Tag hinterher geschmissen und verschiebe beim Blick der aufziehenden Nacht alle Pläne und guten Wünsche auf morgen. Bei dem Rebellionsgrad meines Magens wäre ein Bibliotheksbesuch sowieso ausgeschlossen gewesen.

21. Oktober 2010

But there'll be something missing...



Now that you've found it, it's gone
Now that you feel it, you don't
You've gone off the rails

19. Oktober 2010

Hang on, my dear!



Yes, yes, yes! Es hat sich gelohnt: Die erste Hürde auf dem Weg zum Magisterzeugnis ist erfolgreich aus dem Weg geräumt. Ich dampf' jetzt mit stolz geschwellter Brust in meine Hundehütte und gönn mir mal nen paar Tagträume und leg dazu 'ne coole Platte auf!
Hang on sloopy Snoopy, sloopy Snoopy hang on
*Yeah*~~~~*yeah*~~~*Yeah*~~~* yeah*
...is' eh' der viel bessere Text! Und zwischen Snoopy und Brian liegen ja nich' gerade Welten.

17. Oktober 2010

Flashback No.1

Diese Bloggerwelt, die noch vor wenigen Wochen ganz verschlossen vor mir lag, entwickelt sich, nachdem ich den strengen Onkel Skeptizismus so allmählich ruhig gestellt habe, wirklich zu einem kleinen Rummelplatz. Ganz wunderbar inspiriert und beglückt von meinen heißgeliebten Neuentdeckungen dieser Woche, den Bloggerinnen lifecompilation. und mädchen blogt - Mädels, ihr rockt! - eine kleine digitale Retrospektive mit Hilfe eurer Kategorientafel:



gehört Radiohead - Rainbows, Björk - Medulla, M.I.A. - Hieb und Stichfest, Keith Jared - The Köln Concert, Apple Podcast der Stanford University, Deutschlandfunk
gesehen Being John Malkovich, Dr. House -  The Down Low (Folge 121) --> Hauptdiagnose: Hughes-Stovin-Syndrom
gelesen ganz viel Roland Barthes, Max Horkheimer - Traditionelle und kritische Theorie, Agamben- Homo sacer, Persepolis, Zeitschrift der Polizeigewerkschaft, alte Mails
getan viel geschrieben und gelesen, Sport gemacht, bunte Blätter gesammelt, früh aufgestanden, Erstsemestern die Panik genommen
getrunken massenhaft Tee (Chilli-Kakao, Kräuter, schwarz) und Kaffee auch, Club Mate
gegessen meist selbstgeschmierte Stullen
geärgert über die raschelnden und flüsternden Juristen in der Philologischen Bibliothek. Habt ihr kein Zuhause?
gedacht nichts ohne Schachtelsätze
geplant Studium schnell beenden, nochmal Geschichte studieren, ein Fondue mit den Philosophen
gewünscht ein Rennrad, Dits et Ecrits von Foucault
gekauft Heiners Biographie, Gerards Ergüsse und Rolf Dieters jugendlichen Leichtsinn
geklickt lifecompilation.dragstripgirl und gaaanz viel synonyme Unterstützung
gehofft dass ich das frühe Aufstehen weiter bewältige

Mein täglich Brot



Was ist nur los? Ich erkenn mich ja gar nicht mehr wieder. Statt alles auf eine große Wand zufahren zu sehen, bin ich in der letzten Woche auf seltsame Weise in Bewegung gekommen. Und was das Merkwürdigste an allem ist, es hat nicht mal wehgetan, war viel weniger mühsam als gedacht und hinterlässt abends, wenn ich trunken vor Schlaf nach Hause komme, so ein gut tuendes, kleines Glücksgefühl, so dass ich gar nicht verstehen kann, wie ich so lange darauf verzichten konnte. Nun sitze ich hier wieder zwischen den anderen Verrückten in der Bibliothek und wundere mich darüber, dass es scheinbar gar nicht so unüblich ist, am Sonntag im Sinne des Studiums oder der Promotion hier zu arbeiten. Überhaupt, was man alles sieht, wenn man morgens früh aus dem Bett kommt. Als würde ich auf einmal in den Genuss einer Welt kommen, mit der ich in den letzten Jahren sehr wenig in Kontakt stand. Um schließlich in den Besitz dieser vollen Tageslängen zu kommen, mit Blick auf den Winter nun sowieso immer rarer werdend, tausche ich momentan gerne die nachmitternächtlichen Erfahrungen ein und freue mich sehr, dem Rat meiner Großeltern folgend,  statt der unzähligen Nächte endlich mehr von der hellen Seite des Tages zu haben.

16. Oktober 2010

Ode an den Samstag!



Ein Samstag, wie er im Buche steht. Der Regen weckt mich gegen 8 Uhr, mit schweren Lidern und vom gestrigen Schwimmbadbesuch auch in Mitleidenschaft gezogenen Gliedern quäle ich mich in die Vertikale, denn Zettis Knusperflocken rufen aus Richtung Wohnzimmer laut nach mir. Ein paar Seiten Agamben zur Geburt des Souveränitätkonzeptes der Moderne aus der Integration des nackten Lebens in die Politik und die Vorsätze lösen sich zu Gunsten der Horiziontalen unter der von M. kuschelig-warm gehaltenen Decke in Luft auf, die Äuglein fallen einfach wieder zu. Beim nächsten Aufwachen zeigt mein Wecker das Verstreichen einer Stunde an. Es ist nun kurz nach 9, der Himmel grau wie zuvor, nur der Regen hat aufgehört.So viel Arbeit liegt vor mir, also schnell hoch und Kaffee gekocht, Frühstück kredenzt, M. geweckt und dann die Frage des Morgens.
Plötzlich steht sie im Raum: Laufen die Pilger zu Fuß nach Mekka oder wie? Fatal! Daraus ergeben sich gleich hundert andere:  Wie und vor allen Dingen wo leben überall potentielle Pilger? Wie kommen die dahin? Seit wann pilgert man? Kurze Kritik der Kreuzzüge als Pilgerfahrt der Christenheit, dann weiter: Waren die Heere der Besetzer Jerusalems nicht lächerlich klein? Hat es die Schlacht im Teutoburger Wald je gegeben? Herzlich willkommen bei uns zu Hause! Ja, die Geschichtsstunde hat soeben gegonnen und nun werden Atlas, Lexikon und I-Phone flink herbeigeholt. Wir einigen uns hinsichtlich des erschlagenden Massen historischer Stoffe für die Entstehung und den Untergang des Byzantinischen Reiches. Wie wir genau darauf kamen? Keinen Schimmer! Die letzten Gesprächbrocken, an die ich mich erinnere, hatten Barbarossa zum Thema. Eine halbe Stunde Dilettantengeschwätz, wilde Dikussionen, was zum endgültigen Niedergang des Imperium Romanum beitrug, wie die Christianisierung imeinzelnen vorangetrieben und verbreitet worden ist und wo genau der Übergang von Spätantike zu frühem Mittelalter zu verorten ist. Haben wir beide im Geschichtsunterricht gehabt und beide vergessen. Die Uhr sagt mahnend: Geh endlich los! Also schnell in der Eile Kaffee die Kehle hinutergeschüttet, die halbe Tasse landete auf dem frisch angezogenen weißen Rock mit Pünktchen. Die Flecken bleiben zunächst unbemerkt. Den schweren Rucksack geschultert, die Thermoskanne dabei, den festen Vorsatz nochmal Geschichte zu studieren (mit Schwerpunkt Spätantike) und noch schnell den Agamben für die Bahn geschnappt und los! Ich bin bestens gerüstet.
Der Weg zur Bahn hat trotz Regen strahlende Farben zu bieten. Konnte die ganzen Stubenhocker eh nie ganz verstehen. Die Bahn kommt pünktlich, jippie! Ich finde sofort einen bequemen Platz am Fenster. An mir zieht urbane Gräue vorbei, Ruinen, regenschwere Bäume, aschfahle Menschen. Dazwischen Strahlen: rot, gelb, braun und noch ein ganz klein wenig grün, vorm Herbst noch etwas Schonfrist. Die sonore Opernstimme des Motzverkäufers reißt mich aus der Foucault-Replik Agambens: Diese Intonation, der Witz, das Kecke und Wache in der Stimme. Die ganze Prosodie, der Wahnsinn! Da bezahlen die Herrn Intendanten für die Besetzung des Faust, des Woyzeck, des Hamlets, des Siegfrieds usw. einen Arsch voll Geld und könnten doch den hier nehmen. Ehrlich, ich bin hingerissen, will ihm sofort ein Studium finanzieren. Trau mich aber nicht, ihms zu verkünden. Als er sich dann den gummibestiefelten Kindern einer ältlichen Mama nähert und seine Monstergeschichten auspackt, ist es um mich geschehen. Ich lache quietschend vor Freude los, als wär ich gleich beide Kinder auf einmal. Mein Banknachbar lacht auch, ist scheinbar gleichermaßen leicht zu beglücken wie ich und zudem Mathestudent, zumindest sieht das da, was er in der Hand hält, für mich stark danach aus. Der vom Motzianer angekündete Zustieg  des Gitarristen am Bahnhof Feuerbachstraße bewahrheitet sich. Er ist zwar kein musikalisches Talent, aber das Geklampfte findet trotz allem den direkten Weg zu mir und ich groove beschwingt weiter durch den Agamben. Lichterfelde West: I'm gonna leave the train now. Der Mathematikstudent bleibt sitzen...Schade! Beim zügigen Marsch durch Dahlemer Berge von Blattgold fallen mir nun die braunen Flecken ins Auge: So'n Mist! Als Belohnung staube ich aber das schönste rubinrote Ahornblatt Berlins ab, über das ich einfach so stolpere. Schnell aufgehoben und weiter in den Siebenmeilenstiefeln. Ankunft: Das Blatt auf die Schnelle abgewaschen und zwischen den Deleuze-Notizen platt gedrückt, danach oberflächliches Widmen der Kaffeeflecken und sofort den besten Platz in der Bibliothek erwischt.
Es gibt Tage, da läuft einfach alles richtig! Danke Samstag!

15. Oktober 2010

Palimpsest


Ich dynamisch denken, das heißt in fließenden Grenzen und nicht als feste Substanz. Ich als dasjenige, in das (All-)tägliches sich einschreibt. In dem Erzählstränge manchmal zusammenlaufen, gebrochen werden oder versickern.
Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken, die sich in diese unstete Masse einschreiben, ihrerseits überschrieben werden.
Was bleibt? Eine wilde Horde an Zeichen, die sich tummelt auf alten Kratzern, Einkerbungen des Gelebten und den Faltenwürfen des Vergangenen. Anschlussmöglichkeiten der Zukunft, die Wiederverwertung des Alten und die Stellvertretung des Kommenden.
Von Vergessenen bleibt nur eine Spur jenseits der Bewusstseinschwelle zurück, sonst nichts. Im Verwertungskreislauf des Erinnerten wird die Lücke mitleidlos aufgefüllt mit noch Ungewissem und verknüpft mit bisher beständig Gebliebenen.

13. Oktober 2010

Ein Königreich für ein Riegelchen!


Warum muss der Hunger immer mit der Philosophie Hand in Hand gehen?
Blick zum linken, Blick zum rechten Tischnachbarn: Nichts in Sicht...Menno!

Sils-Maria

Mein enthusiasmiertes Phantasma von Orten, an/für die man sofort auswandern würde!
Schon Nietzsche wurde von jener geheimnisvollen Anziehungskraft befallen und flog wie die aufgeschreckte Motte in das Licht Sils', um ihr, der verträumten Gemeinde, in seiner Fröhlichen Wissenschaft ein dauerhaftes Vermächtnis zu hinterlassen, über dessen dichterische Qualität sich durchaus streiten ließe:

Sils-Maria
Hier saß ich, wartend, wartend, — doch auf Nichts,
Jenseits von Gut und Böse, bald des Lichts
Genießend, bald des Schattens, ganz nur Spiel,
Ganz See, ganz Mittag, ganz Zeit ohne Ziel.
Da, plötzlich, Freundin! wurde Eins zu Zwei —
— Und Zarathustra ging an mir vorbei ...
...und auch ich würde für diese gradiose Mixtur aus Bergen, Gletschern, Schnee, waldigen Tälern und Seen (fast) ALLES tun!

12. Oktober 2010

Wenn Eltern reisen...


Heute dann: Ein (weiteres) bittersüßes Lebenszeichen von der anderen Seite des Globus. Im Briefkasten angefunden, hat sie sich prompt zu den anderen- alle innerhalb kürzester Zeitabstände bei uns eingetroffen- gesellt: Karte Nummer 3. Während ich hier frieren muss, täglich um die möglichst strikte Realisierung meines auf tönernen Füßen thronenden Zeitmanagements bange und abends vor Erschöpfung vom Müdigkeitsdelirium eingelullt ins heimische Bettchen wanke, grüsst frisch, munter und fröhlich jenseits des Atlantiks der Rest unserer Minifamilie, den familiären Funktionsbereichen entsprechend originell abgekürzt mit P. und M.
Und weil die Not des Fernwehs erfinderisch macht, werde ich mir das Kärtchen vor dem Einschlafen so lange anschauen bis halluzinative Nordamerikasequenzen an meinem inneren Auge vorbeiziehen und ich mich somnambul schleichend am Fuße der Niagra Falls wiederfinde: A Mari Usque Ad Mare!

11. Oktober 2010

Ein Nachschlag Wirres

1. Die alte Sufftrulla von Samstagnacht - nicht nur scheinbar festes Späti-Inventar der Adalbertstraße - fühlt sich zwar zum Hofnarr vom Kotti berufen, quasi zur überproduktiven Wahrheitsmaschine auserkoren, ist aber absolut nicht witzig! NEIN, absolut nicht!!!
2. Die Philologische Bibliothek hat mir bisher viel zu wenig produktive Erlebnisse beschert. Über mir rascheln in stereo, so artig wie Synchronspringer, drei Douglastüten und ein I-Phone meldet lautstark: "Du Idiot, Du wirst gerade zubombardiert mit unwichtigem Kram, der eh keine Sau interessiert!"
3. Auf 'nem geilen Rennrad unterm Arsch abhängen wie 'n Riesenfaultier am Ast ist eine Beleidigung für unsere Zunft - die der echten Biker, die von einer solchen Rennmaschine nur träumen können.
4. Im ersten Stock wird vermeldet: Ding°-°ding°-°ding°-°Ahahaha°°°°°°Windows ist nun hochgefahren und steht bereit: Fang also an zu arbeiten, Du Spast!
5. King Udo hätte jetzt mit der Faust auf'n Tisch gehauen und Schluss! Der huldigt jedoch momentan den Porzellangöttern und flucht: "Die zwei Bier gestern können doch unmöglich 120 € gekostet haben."
6. Noch ein Scheiß-Windows Ding°-°ding°-°ding°-°Ahahaha°°°°°°
7. Es nützt alles nichts! Ich bin bereit, die Betonwände der Prokrastination nun zu durchbrechen, um ganz in Brinkmann'scher Manier feierlich zu enden: Fuck it all!

Nebelschwadenbilder




Es ist 7.45 Uhr. Viel zu früh und viel zu kalt für mich. Der Radiosprecher verkündet mit nicht zu leugnendem Unterton heimlicher Bewunderung in der Stimme äußerst einladende 2 Grad über dem Gefrierpunkt auf den Straßen Berlins: Willkommen Herr Frühwinter! Meine Tasche ist gepackt, die Thermoskanne mit schwarzem Tee gefüllt, die Handschuhe liegen, nachdem mich M. besorgt per SMS über Berlins Frostigkeit informiert hat, benutzungsbereit auf der Holzkommode im Flur. Alles startklar! Der Kopf schwer, die Motivation, gerade heute viele Seiten zu produzieren, vergleichsweise gering, schließlich der Fahrspaß - bei diesen Sichtverhältnisse sicher das reinste Vergnügen! Und fast freue ich mich auf meine tägliche Dosis Nötigung im Straßenverkehr, denn für die beruhigend-melodiöse Medikation ist einmal mehr gesorgt. Wie aus einer sehr, sehr, sehr fernen Vergangenheit jenseits der menschlichen Zeitrechnung...Vinylknacken inklusive - es lebe das analoge Zeitalter! Den FK Allstars und Udo seis gedankt!
"Stell dir vor im Plattenbiz gings nicht um Profit,
in den Charts ist wenig Plastik,
dafür viel Musik,
nur der coolste Rapsound beschallt die Republik,
Kids kaufen Alben auf Vinyl statt auf Compact Disc.
Manchmal dreh ich mir'n Spliff und fang an zu träum',
nehm mir'n Stift und Papier und schreib'n Rhyme,
sitz am Fenster daheim,
mal' mir die schönsten Szenerien,
und der Wind bringt mir diese Melodie
- sing sie für mich Udo!
Udo: - seltsame Szenen - Nebelschwadenbilder
noch nie dagewesene Situationen"
FK: stell dir vor
es gibt kein asyl weil kein
grund zu flieh'n
du siehst cnn und sie berichten mumia's free
hast kein stress mit den bullen weil du dein
buddah liebst
und in yugo ist schluß mit dem bürgerkrieg
stell dir vor du kannst deutsch und trotzdem
türke sein
die gleichstellung der frau'n gibt's in
wirklichkeit
die bahn fährt immer und umsomst du brauchst
kein führerschein
hast'n job der dich erfüllt und noch genügend
zeit
stell dir vor akw's wären lahmgelegt
bist an der adria siehst fische wenn du baden
gehst
die alten herrn im bundestag wären abgesägt
die menschen verbrüdern sich und esperanto
lebt
stell dir vor der papst wird schwanger und
treibt ab
du gibst ein interview und sie schreiben was
was du sagst
du sagst den leuten was du denkst sie sind
nicht eingeschnappt
bayern steigt ab und kickers holt die
meisterschaft
stell dir vor im plattenbiz gings nicht um
profit
in den charts ist wenig plastik dafür viel
musik
nur der coolste rapsound beschalt die
republik
kids kaufen alben auf vinyl statt auf
compact disc
manschmal dreh ich mir'n spliff und fang
an zu träum'
nehm mir'n stift und papier und schreib'n
rhyme
ich sitz am fenster daheim mal mir die
schönsten szenerien
und der wind bringt mir diese melodie
- sing sie für mich udo Udo: - seltsame szenen - nebelschwadenbilder
noch nie dagewesene situationen

9. Oktober 2010

leaves' cover


ein blick nach oben
der vergessen macht
alles zudecken lassen
vom herbstlichen gold
und auffangen, was doch fallen muss.
immer wieder
zugedeckt werden.
eine decke aus laub,
die jetzt noch himmel ist
und bald erde.

8. Oktober 2010

Vive l'ermitage!


Früher hasste ich das Alleinsein wie die Pest. Dachte: die Welt dreht sich da draußen einfach ohne mich weiter. Unerträglich dieser Gedanke! Gespräche an der Bar, lustige Momente, neue Bekanntschaften...Alles Dinge, die ich einfach so verpassen würde. Unfreiwillig um Erfahrung gebracht, fühlte ich mich amputiert zurückgelassen in meiner nicht selbstgewählten Einsamkeit. Zerfloss in selbstmitleidiger Gefühlsduselei und hing unproduktiv in einer dunklen Ecke herum. Heute bekommen bewegende Gedanken ihren Platz, wenn ich Zeit allein verbringe. Brauche ich diese Momente der Stille, des Beimirseins viel dringender als früher. Ich werde immer gern mit meiner Crew um die Häuser ziehen, daran wird sich nichts ändern, nur scheinen die Zwangsvorstellungen des von einem Gefühl der Passivität getragenen Alleingelassenwerdens wie weggeblasen, entscheide ich mich heutzutage selbst für die paar Stunden Auszeit.
In dieser, meiner Freizeit - im wahrsten Sinne des Wortes - gelingt mir meist viel: schreibe ich, laufe, lese, zeichne, höre alte  und neue Platten hoch und runter und erledige Dinge, für die sonst keine Zeit bleibt. Vor allem aber lasse ich den Gedanken freien Lauf. Und dabei wird nicht nur bisher Unbedachtes, sondern auch manch schrullige Kuriosität zu Tage gefördert.

7. Oktober 2010

Freunde sein


"Wenn man in mich dringt, zu sagen, warum ich ihn liebte, so fühle ich, dass sich dies nicht aussprechen lässt, ich antworte denn: Weil er er war; weil ich ich war."
Michel de Montaigne- Über seinen engsten, früh verstorbenen Freund Étienne de la Boetie, Essais I 28

6. Oktober 2010

Cave canem



Jenseits perfider Freuden vertrockeneter Lateinlehrerinnen, entbirgt dieser Sinnspruch, hinter der Fassade eines astreinen Imperatives versteckt, der dem wahren studiosus linguae Latinae nur ein müdes Gähnen abzuringen vermag, eine längst in Vergessenheit geratene Tugend: Das Maul weit aufreißend und Zähne fletschend, den Zustand der eigenen Betroffenheit und des Zuwehrsetzens kenntlich zu machen. Thematisch wird dadurch vor allem das Gefühl, dass eine imaginäre Grenze längst überschritten sei und man selber nicht länger bereit, daher wild an der Leine hin und herziehend, dies willenlos zu akzeptieren. Übersetzt in eine Lebensanschauung muss dies weder Freude an roher Gewaltausübung noch von dümmlichen Phrasen begleiteten Rebellion bedeuten.
Im echten Wortsinne sollte der kynismós im besten Falle eine Lebensform zum Ausdruck bringen, die durch die Kraft ihrer Hündigkeit befähigt, etablierte und unhinterfragte Gesellschaftnormen zu untergraben sogar bisweilen außer Kraft zu setzen, Erstarrung in Bewegung zu verwandeln vermag. Als eine authentischer Ausdruck versucht diese Lebensweise die eigene und oft von außen versagte Betroffenheit produktiv umzusetzen, indem sie in einer kritischen Reflexion Distanz zu gewinnen sucht. Jene Vernunft also, in der der Keim des zynischen Denkens zur vollen Reife kommt, die Desillusionierung und Demaskierung die Hand reicht, jedoch deshalb nicht gleich lebensverachtend sich gebärden muss, erscheint mir als ein erhaltenswertes Etwas, sodass ich euch laut zurufen will:
SEID BISSIG! oder latinisch ausgedrückt:  Motarces este!
Jedoch bitte, ohne gleich auf jede Sloterdijksche Finte reinzufallen!
Die Erfüllung dieses wunderschönen Imperativs würde nicht nur den vokabelverhangensten discipulus durch innerliche Aufwallungen zum Schwitzen bringen, sondern auch der Lateinlehrerin die üppige Restfeuchte in die Augen treiben.

5. Oktober 2010

Living next door to Telespargel



Mein herzallerliebster Nachbar! In Berlins dunklesten Nächten, bitterkalt, in denen die Luft lautlos vibrierend jeden Moment in tausend Stücke zerbersten kann, hasst Du mir, die trunken voll Schlaf, mit Erschöpfung in den soeben noch tanzenden Gliedern, mit zerstreuten Gedanken und zittrigen Wimpern, die vergeblich versuchten die Müdigkeit wegzuzwickern, eine Gestrandete im Großstadtdickicht, stets den Weg nach Hause gewiesen. Ganz egal aus welcher Richtung ich kam, ob im zarten vorfrühlingshaften Morgengrauen begleitet von spöttischen Spatzenkonzerten, im diesigen Herbstdunst oder im weißen Winterzauberwald, die Stadt endlich zum Schweigen gezwungen, warst Du mir ein verlässlicher Begleiter, auf den ich immer bauen konnte. Nicht nur dann, wenn mein Gang schwankend oder ich, hoch zu Rad mit Musik auf den von der Nacht fast tauben Ohren, den letzten Schluck in der Flasche und ein verschmitztes Lächeln im Mundwinkel, den Heimweg meist nur noch in halluzinatorischen Schlenkern bestritt. Wenige Dinge weiß ich von Natur aus an dieser, meiner Heimatstadt, so zu schätzen wie Deine stoizistische Treue und Deine geheime Mitwisserhaft.  Selbst als ich angekommen, durchgefroren und durchnässt, wenn die Tür längst hinter mir ins Schloss gefallen war, zwinkertest Du komplizenhaft, als wärst Du ein stiller Beobachter meines Lebens, nachts wie tags durch meine Fenster. Und weil ich darüber hinaus nie Gardinen besaß, konnte Dir wenig von mir entgehen: von dem zahlreich Gesprochenen, Gefühlten, Gelebten. Deine fast altväterliche Verschwiegenheit, Deine urbaneske Teilnahmslosigkeit und vor allem Deine liebevolle Interesselosigkeit weiß ich daher wie keine andere zu schätzen.

3. Oktober 2010

"Die Zunge ist ein Dolch des Mundes"

sagt ein spanisches Sprichwort.


Diese Messerstiche des Mundes sind es, die wir uns in unserer Angst allgegenwärtiger Verletzbarkeit viel zu selten zumuten.
Am Einheitstag ist die Königin der Oralwerkzeuge in ihrem Einsatz leider eher verhalten, in ihrer Stichhaltigkeit abgestumpft und seltsam zurückgebunden.
Daher muss das Berliner Gorki, "weil man die Feste feiern soll, wie sie gelegt werden", mit seinen Szenischen Miniaturen dasjenige zu retten versuchen, was längst nicht mehr zu retten ist, und in einer bittersüßen Reminiszenz an Kohls prophezeite Blühende Landschaften reinen Tisch machen mit deutschen Volksmythen, Sprachvertrauen und dem Glauben daran, dass alles durch Zauberhand und beharrliches Warten irgendwann besser wird als es gestern war.
Mit glühenden Wangen lauschte ich also Brinkmanns - mein Liebling! - auf einer Perlenkette aufgereihten Meckereien über die bundesrepublikanische Realität der späten 60er Jahre, lachte hysterisch über die Inszenierung PeterLichts - der Mann, dessen Gesicht keiner kennt - Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausend und blieb erstarrt und atemlos in meinem Stuhl gefesselt und von der Schwerkraft der messianischen Worte Ingeborg Bachmanns ALLES niedergedrückt:
"Früher hatte ich gedacht, ihn die Welt lehren zu müssen. Seit den stummen Zwiesprachen mit ihm war ich irregeworden und anders belehrt. Hatte ich es, zum Beispiel, nicht in der Hand, ihm die Benennung der Dinge zu verschweigen, ihn den Gebrauch der Gegenstände nicht zu lehren? Er war der erste Mensch. Mit ihm fing alles an und es war nicht gesagt, daß alles nicht anders werden konnte durch ihn. Sollte ich ihm nicht die Welt überlassen, blank und ohne Sinn? Ich mußte ihn ja nicht einweihen in Zwecke und Ziele, nicht in Gut und Böse, in das, was wirklich ist und was nur so scheint. Warum sollte ich ihn zu mir herüberziehen, ihn wissen und glauben, freuen und leiden machen! Hier, wo wir stehen, ist die Welt die schlechteste aller Welten, und keiner hat sie verstanden bis heute, aber wo er stand, war nichts entschieden. Noch nichts. Wie lange noch?"
Daher: Liebes Gorki, danke, dass Du mir an einem Tag wie heute, an dem die deutsche Medienlandschaft den Fall der großen Mauer  vor 20 Jahren zelebriert und tausend Mauern, die seitdem wieder wachsen, artig verschweigt, das Denken gestattet und um viele neue Fragen angereichert hast. Aus Deinen Fittichen entlassen gehe ich wie immer innerlich bewegt sowie gedanklich verzaubert von meinem tapferen Vertrauten begleitet durch die frische Herbstluft nach Hause.

2. Oktober 2010

1. Oktober 2010

Der Größenwahn der Worte

Weil Worte wahnhaft wachsen wollen...

30. September 2010

Unser Wunsch



Wie das wohl gewesen sein muss als ihr so alt wart wie wir jetzt sind? Wie ihr euch wohl gefühlt habt? Ob euch manchmal nachts die Angst überkam, ihr könntet später einmal keine Arbeit finden, nicht mehr eigenständig für euren Lebensunterhalt aufkommen und dabei Stück für Stück eurer Unabhängigkeit einbüßen? Ob ihr euch manchmal gefragt habt, was all das ganze Studieren genutzt hat, die Mühe, die Perfektion, das nächtliche Lesen, die Engelsgeduld, die zahlreichen Diskussionen, das Eintauchen in kaleidoskopartige Gedankenwelten, die Aufregung vor Vorträgen, das unübertreffliche Gefühl, wenn die letzten Worte langer Texte geschrieben waren? Erinnert ihr euch vielleicht an das Gefühl, von innerer Neugier überwältigt, vor Leidenschaft und Durst nach Wissen fast verbrannt zu sein? All diese kleinen Erfolgserlebnisse, die Früchte vieler gedankenschwangerer Nächte, von den vollgeschriebenen Seiten ganz zu schweigen? Ich könnte sie bis an die Decke stapeln.
Und irgendwann wird uns der Schlussstrich unter diese Zeit gezogen und von all diesen Jahren bleibt ein Wisch zurück, der uns und euch bescheinigt, dass ihr auf einen gewissen Grad geistiger sowie individueller Entwicklung vertrauen könnt, dass wir innerlich wie äußerlich herangereift sind, uns spätestens nun eine selbständige Persönlichkeit auszeichnet. Wir werden ausgegossen in die Welt, fahren die Ellenbogen aus, die wir wenig trainiert haben, und die unsere Suche nach ein klein wenig Anerkennung beginnt. Manchmal verlängert sich unsere Schonfrist hinter den Büchern. Wir überlegen, ob wir einfach erleichert aufatmen oder langsam darüber verzweifeln sollten, weil sich mit einem Stipendium zu promovieren einfach nicht wie Erwachsenwerden anfühlen will. Manchmal aber landen wir in den Warteschlagen oder kafkaesken grauen Fluren, in Arbeitsmaßnahmen und unbezahlten Praktika. Werden immer und immer wieder hinter Kopierern und zwischen Kaffeemaschinen zusammengepfercht. Unsere Abschlüsse tragen Einsen vor dem Komma, wir sprechen fließend Französisch, Spanisch oder Chinesisch, Englisch sowieso. Wir haben die Phänomenologie Hegels auswendig auf dem Kasten, haben uns neben zwei Jobs ehrenamtlich engagiert, treiben regelmäßig Sport, haben auf Konferenzen neben in eurer Gewichtsklasse rotwangig vor Aufregung Paper verlesen und Applaus geerntet. Uns ist Begabtenförderung angetragen worden und allzu oft haben wir für ein paar Tantiemen, heimlich und zumeist in einem Dankeswort unerwähnt, die gröbsten logischen Schnitzer aus den Publikationen unserer Professoren getilgt – dabei sozusagen in unsere Zukunft investiert - und uns hinter ihrem Rücken über derart akademische Unzulänglichkeit lustig gemacht und trotzdem neidvoll anerkennen müssen, dass viele existenzielle Fragen sie wie euch anders betroffen haben als sie uns betreffen. Denn kaum haben wir unsere kleine heile Humboldt’sche Welt verlassen, ist auch unser Welpenschutz dahin.
Wie wird das sein, vielleicht keinen festen und sicheren Arbeitsplatz haben zu werden und trotzdem dem Leben alles abringen zu wollen: zu reisen, Kinder großzuziehen oder gar auszuwandern? Und was uns noch mehr bewegt als all diese finanziellen Dinge: Wie wird das sein, wenn sich herausstellen sollte, dass ihr uns gar nicht mehr gebrauchen könnt? Dass die Arbeitswelt auch ohne unsere Mitwirkung fleißig weiter um ihre eigene Achse rotiert? Stellt euch vor, wir hätten keinen Platz in eurer Welt? Oder besser zwangsempathisch: Ihr hättet nie einen Platz gehabt, würdet nicht gebraucht werden? Gesamtgesellschaftlich wäre es dann unter diesen Umständen dann völlig irrelevant gewesen, was ihr gelernt, woran ihr glaubt, was ihr euch wünscht!
Habt ihr manchmal geglaubt ihr könntet alles schaffen?
Wir selbst haben es uns immer wieder laut vorgesagt, uns gegenseitig zur Hoffnung angestachelt oder einfach weiter gemacht. Und auch wenn uns manchmal der Glaube daran verlässt, halten wir insgeheim an unserem Wunsch fest, dass ihr uns so brauchen könnt wie wir sind und wir dies alles nicht nur für uns selbst hinter uns gebracht haben.
Danke Lotte für das inspirierende Gespräch!

28. September 2010

Die Bürde erster Falten


Ich hätte schwören können, dass sie vor kurzem noch nicht da waren, diese kleinen linientreuen Biester, die sich seit Neuestem in illustrig-trauter Runde unter meinen Augen versammelt haben. Ich erkenne sie nun, von noch so kleinen Flächen reflektiert, in Brillengläsern, Barspiegeln oder Schaufenstern. Besonders schmerzlich für mich, entdecke ich sie immer öfter auch in den Blicken und zwischen den Bemerkungen meiner Freundinnen. Ich bin die Erste und, was besonders erschreckend ist, eine der Jüngsten, in deren Gesicht sie sich zeigen. Natürlich habe ich, wie keine von uns, je eine Zigarette oder durchzechte Nacht  ausgeschlagen. Jedoch, was mich wundert, zeigen sie sich nun als die Spuren einer Zeit, in der ich sehr viel gelacht habe, fröhlich war. Eine Zeit geradezu, die die Ereignisse des letzten Jahres scheinbar unter sich begraben haben. Verfolgt also von der in mir rumorenden Frage, ob ich wirklich so schnell altere, gealtert, dem allmählichen Verfall preisgegeben bin, sollten sie letztendlich sogar diejenigen Narben sein, die sich schleichend über meiner großen Wunde gebildet haben? Diese zart zugedeckt haben, ohne sie je ganz schließen zu können? Was sich fast lyrisch in mir Bahn bricht, wittert beunruhigt unter der Oberflächenerscheinung längst ein Symptom der Tiefen: Dass nämlich die harmlosen Linien vielleicht doch mehr ein tiefer Graben zwischen dem Vergangenen und dem noch Unbekannten sein könnten, das sich Erwachsenwerden und Loslassen nennt…